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Zwischen Dunedin und Christchurch

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Das Herz schlaegt mir bis zum Hals und die Lunge scheint zu platzen. Fast ich bin ich oben - am Ende der steilsten Strasse der Welt. Der Baldwin Street in Dunedin. Die Strasse ist mit 38 Prozent Steigung (20 Grad Winkel) so steil, dass ich zu tun habe nicht rueckwaerts vom Rad zu fallen. Ich probiere es weiter und schaffe es tatsaechlich bis nach oben. Gluecklich und stolz lasse ich mich von den Umstehenden feiern.

Wir fahren entlag der Küste gen Norden. Das Wetter ist nun schon seit mehr als einer Woche grau, regnerisch und die Sonne zeigt sich nur selten. Im Mausgrau besuchen wir auch die Moeraki Boulders. Dies sind Steinkugeln mit ca. 1 Meter Durchmesser, die wir riesige Kanonenkugeln am Strand verteilt liegen.

Wir fahren Inland - zum Mt. Cook, der mit 3754m der hoechste Berg Neuseelands ist. Und schwieriger als der Mt Everest zu besteigen. Er hat nur 2000 Gipfelstuermer in 100 Jahren aufzuweisen. Schweizer Landschaft breitet sich aus zu beiten Seiten - die hoechsten Berge, die Neuseeland zu bieten hat, durchsetzt mit tuerkisblauen Stauseen in goldenen Huegeln. Dies alles bei strahlendem Wetter und flacher Strasse... DAS haben wir uns verdient.

Eine anstrengende Wanderung mit 1000 Hoehenmetern auf rauem Terrain fuehrt uns zu genialer Aussicht auf den Mt. Cook und die maechtigen Gletscher des Mt Sefton. Am naechsten Tag haben wir dafuer solchen Muskelkater, dass wir uns kaum noch bewegen koennen. Am 22. Februaer beenden wir unsere 3600 km lange und Radreise durch Neuseeland - die Runde ist komplett! Stolz schauen wir auf die ueber 30.000 Hoehenmeter auf dem Radcomputer und 11 Wochen Radfahren zurueck. Wir sind erstaunt ueber uns selbt. Was wir noch nicht wissen ist, dass es auch einer der schwaerzesten Tage in der Geschichte Neuseelands werden wird.

Es ist kurz vor 13 Uhr, als ploetzlich die Erde unter unseren Fuessen bebt. Buecherregale um uns herum schwanken und die Lampen an der Decke pendeln hin und her. Es braucht ein bisschen um ueberhaupt zu realisieren, dass dies gerade ein Erdbeben war. Wir warten gerade auf unseren Bus, der uns ins 150 km entfernte Christchurch bringen soll. Dank Internet erfahren wir relativ schnell, dass es dort ein Beben der Staerke 6.3 gegeben hat und die Zerstoerung immens ist.. Das Beben war nur flach und ist mit einer unvorstellbaren Gewalt durch die Stadt gerast. Riesige Gebaeude, darunter auch die Kathedrale, das Wahrzeichen der Stadt, sind eingestuerzt.

Es wird still um uns herum. Viele Menschen in Geraldine haben Angehoerige in Christchurch und sind besorgt. Die Telefonleitungen sind zusammengebrochen. Auch Richi und Katja, die Radfahrer aus der Schweiz, sind heute bei dem Nieselwetter sicher in der Innnenstadt gewesen. Wir machen uns grosse Sorgen. In 2 Stunden geht unsere Bus ins Chaos, wir haben die Faehre fuer uebermorgen gebucht und der gesamte Verkehr laueft ueber Christchurch.

In den Vororten Christchurchs sind die Geschaefte noch offen und alles scheint normal. Wenn diese Stille nicht waere... Wir treffen auf Wayne, der uns zu sich nach hause einlaedt. Er hat Glueck gehabt: Strom und Wasser sind noch da und nur eine Blumenvase ist zerbrochen. Wir schauen mit ihm die schrecklichen Bilder im Fernsehen an, waehrend das Haus aller 15 Minuten von Nachbeben erschuettert wird, so dass die Waende wackeln. Wir campen im Garten, wo uns die Erde in einen unruhigen Schlaf wiegt.

Der Tag nach dem Beben: Wir machen uns auf den Weg in die Innenstadt. Ein Bauarbeiter sammelt Kegel ein und erzaehlt. Ich lebe seit 65 Jahren in der Stadt, aber so etwas habe ich noch nie erlebt! Als das Beben kommt, sitze ich gerade im Auto und werde ploetzlich von der Strasse gedrueckt. Geplatzter Reifen, denke ich. Doch dann sehe ich Asphaltstuecken aufreissen und hochfliegen, Haeser stuerzen ein. Menschen rennen auf die Strassen. Als er nach hause kommt, findet er seine Frau weinend vor den Truemmern seines Hauses. Gerade einmal Zwei Tassen und zwei Teller besitzt er noch.

Es ist gespenstisch still und viele Tankstellen haben schon keinen Benzin mehr. Wir sind froh ueber die Unabhaengigkeit unserer Raeder. Um so naeher wir dem Zentrum kommen, desto mehr zerstoerte Haueser sehen wir. Ueberall ist Schlamm und Wasser. Ein Beben bringt, als ob es nicht schon genug Zerstoerung gaebe, auch noch das Grundwasser und riesige Haufen grauen Schlamm nach oben. Ueberflutungen sind die Folge...

Die Strassen der Innenstadt sind mit Panzern abgesperrt und wir landen im Notfallcamp im Park um Naeheres ueber unseren Bus und Katja und Richi zu erfahren. Das Zelt der farbenfrohen Blumenshow der letzten Woche ist zur Zuflucht vieler Leute geworden. Eine Frau sucht ihre Mutter; wir unsere zwei Radfreunde aus der Schweiz, doch wir finden noch keine Spur von den beiden.

Es war schrecklich. Nachdem die Polizei herausfand, dass ich etwas von Haeuserstatik verstehe, habe ich Tunnel gegraben und Koerper geborgen. Tot und lebendig. Einem Mann mussten sie beide Beine amputieren in den Truemmern? erzaehlt uns ein Zimmermann, der zum Wiederaufbau der alten Erbebenschaeden vom September 2010 in der Stadt ist. Viele haben innerhalb Sekunden erneut Haus, Arbeit und Freunde verloren. Wir fragen uns: Wieviel Leid kann ein Mensch tragen?

Wir sind beeindruckt von der schnellen, gut organisierten Hilfe fuer die Menschen. Es gibt Decken, Lebensmittel, Wasser, Toiletten. Die Helfer sind sehr geduldig, auch wenn bei ihnen selbst zu Hause wahrscheinlich noch das Chaos herrscht und sie seit uber 15 Stunden schon Seelsorge betreiben. Viele koennen bereits am Abend in einen kostenlose Militaerflieger nach Wellington steigen, um dem

Desaster zu entkommen. Auch unser Bus soll morgen planmaessig fahren.

Die Nacht verbringen wir im Haus einer deutschen Studentin. Es liegt direkt zwischen dem Stadtzentrum und dem eigentlichen Epizentrum. Es gibt einige Risse in den Waenden. Wir fuehlen uns nicht wirklich sicher, als immer wieder Nachbeben das Haus erschuettern. Bei jedem Erdstoss bleibt uns das Herz stehen. Sekundenlang. Die Nacht scheint endlos. Am Abend dann die erleichternde E-Mail von unseren Freunden. Sie waren zum Zeitpunkt des Bebens in einer Baeckerei in der Innenstadt, sind aber gluecklicherweise nicht verletzt worden. DANKE.

24.02.2011 Geschafft! Es hat alles geklappt und wir sind sicher zurueck in Wellington. Am 26.02. geht unser Bus nach Auckland. Von dort werden wir uns auf Suedamerika vorbereiten und am 2.Maerz in den Flieger nach Quito, Ecuador, steigen. Etwas mulmig ist uns schon, wenn wir an all das Neue denken... Wir hoffen, dass der naechste Bericht weniger bewegend wird.

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