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Die Kraft der Blumen

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Flowerpower. Dabei denke ich vor allem an die 90er-Jahre, als ich noch zur Schule ging und es modern war, mit Peacezeichen und Schlaghosen herumzulaufen. Ich hatte eine Sonnenbrille mit kleinen kugelrunden Gläsern, flocht mir zwei Zöpfe und sah, glaube ich, ziemlich bescheuert aus. Gut, dass das vorbei ist.
Nun heißt eine Chemnitzer Musikkneipe genau so. Was soll man da erwarten? Ich war auf Teenies, viel Schminke und Schickimicki eingestellt, als ich am Montagabend hinging. Warum weiß ich auch nicht so genau.
Damit hat das Flowerpower aber gar nichts zu tun. Es ist eher ein Laden für volljährige Freunde von handgemachter Musik, vom Normalo bis zum Metal-Fan, von 18- bis 60-jährig. Drinnen verströmen Zigaretten, die Bar, drei Kickertische und Flipperautomaten genau diese Stimmung. Nur den Blick zur Decke darf man nicht heben: Sie ist mit grünem Stoff behangen, dekoriert mit gelben Sonnenblumen. Dazwischen kreisen freundlich lächelnde, gelb-schwarz-gestreifte Bienen. Mein Blick wandert immer wieder zwischen den Männern mit langen Haaren und Jeans-Rockerwesten und den Bienen hin und her. Aber ich muss ja auch nicht alles verstehen.
An der Bar fragt mich ein älterer Mann mit grauem Zopf und Bier in der Hand, ob ich allein gekommen bin. Ich verneine schnell. Meine Begleitung steht nur gerade draußen auf der Terrasse. Er findet komisch, dass ich nur ein Getränk gekauft habe. "Naja, er war halt schon vor mir da und hat schon was zu trinken." Der Mann guckt ungläubig.
Montagabend steht auf dem Programm im Flowerpower der Gitarrenclub. Für Ruhm und Freibier kann sich dort jeder auf die Bühne stellen und an der Gitarre, dem Schlagzeug oder auch am Mikrofon sein Können beweisen. Nur, will das in Chemnitz jemand? Die Antwort lautet zu meinem Erstaunen "ja". Als Eisbrecher tritt die dreiköpfige Bluesband "Fire Flyer" aus Leipzig auf und kommt im Laufe des Abends immer mal wieder auf die Bühne. Dann betritt ein riesiger junger Mann mit langen schwarzen Haaren, hellen Jeans und ärmellosem T-Shirt die Bühne. Er schnappt sich die schwarze E-Gitarre und improvisiert virtuos drauflos, begleitet von Bass und Schlagzeug der Fire Flyer. "Genau so habe ich mir das vorgestellt", sagt Danny Szillat strahlend, seit April Besitzer des Flowerpower. Mit neuen Ideen haucht er der Chemnitzer Filiale der Flowerpower-Kette frischen Wind ein. Und es scheint zu funktionieren. Der Laden ist voll, und das an einem Montagabend. Täglich ist bis 5 Uhr morgens geöffnet, während rings herum spätestens um Mitternacht die Lichter ausgehen. In diesem Monat sucht Szillat den besten Gitarristen von Chemnitz, am 29. August soll er gewählt werden.
Ich sitze mit meiner Begleitung an der Bar. Er steht auf und holt Zigaretten. In diesem Moment kommt wieder der alte Herr mit dem Zopf. "Sie sind wohl doch allein hier?" "Nein nein, ganz bestimmt nicht", sage ich mit Nachdruck. Er zieht mit seinem Bier weiter und guckt immer noch ungläubig.
Dann betreten auch zwei junge Männer die Bühne, die bisher auf der Terrasse auf Mandoline und Gitarre geübt hatten. Sie spielen etwas von der Sorte "Lagerfeuermusik", die gar nicht zu ihrem Heavy-Metal-Look passt, aber sehr schön klingt. Ihnen folgt noch eine kleine Band, die samt Gesang alles improvisieren. Alle können das, was sie machen gut, keiner blamiert sich und allen hört man gern zu.
In einer Spielpause entschuldigt sich der Freund, mit dem ich gekommen bin, auf die Toilette. Just in dem Moment kommt wieder der ältere Herr mit Zopf vorbei. Er fragt den mir unbekannten jungen Mann neben mir, ob er mein Freund sei. Der schüttelt vehement den Kopf. "Nein!" "Also so schlimm wäre das doch gar nicht", sagt der Ältere. Der Retter kommt in diesem Moment zurück und der Ältere glaubt endlich, dass ich nicht allein unterwegs bin.
Als wir kurz vor zwei Uhr morgens gehen, ist der Laden immer noch voll und die Fire Flyers betreten gerade noch einmal die Bühne. Wieder auf der großen, leeren Brückenstraße angekommen, kann ich kaum glauben, dass dieser Montagabend wirklich in Chemnitz stattgefunden hat.

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