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Eine Lawine kommt ins Rollen

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"Du musst nicht Mutter Theresa spielen" bekomme ich als guten Rat mit auf den Weg nach Namibia. Das könnte ich gar nicht. Aber was ist heute passiert? Während meines ersten Besuches armer Familien mit Waisenkindern fällt mir die blinde 7-jährige Stefania auf. "Sie muss zur Schule", sage ich Marcus. "Lass uns vorher testen, ist Stefania nur blind oder hat sie noch weitere Behinderungen." Auf meinem nächsten Besuch 5 Monate später erfahre ich, dass Stefania eine Schule für Blinde in Rundu besuchen kann. Inzwischen bin ich nun zum 4. Mal zur Hilfe in Rundu und möchte Stefania unbedingt zur Schule bringen, obwohl mir noch immer die Auskunft über die Kosten fehlt.

Marcus, Iris und ich laden Linda aus dem Bildungsministerium des Kavango zum Gespräch nach n'Kwazi ein. Linda, Engländerin, beendet leider im März ihren 5-jährigen Einsatz in Namibia. Wir sind uns einig, wir müssen schnell handeln. Stefania ist jetzt 9 Jahre alt. Wegen ihrer Blindheit ist ihre Familie (mit etwa 13 Personen!) nicht an ihrem Wohlergehen interessiert. Innerhalb der letzten zwei Jahre hat sich Stefania's Zustand rapid verschlechtert. Sie ist sehr schmutzig. Sie kann sich kaum auf ihren Beinen halten. Die Beinmuskulatur hat sich stark zurückgebildet. Linda dämpft jedoch unsere Erwartungen bezüglich moderater Kosten. Wegen ihrer totalen Unselbständigkeit benötige Stefania zwei Betreuer. Das bedeute dreifache Internatsgebühren und möglicherweise 2000 N$ Monatsgehalt für die Betreuer. Wir schlucken und verabreden uns für den nächsten Tag mit der Direktorin der Schule für seh- und hörgeschädigte Kinder.

Wir holen Stefania ab. Die Mutter ist nicht bereit, ihre Tochter zu begleiten. Sie schickt Dorothea mit, die große Schwester der 9-jährigen. Stefania hat sich etwas im Fuß eingetreten und kann heute gar nicht auftreten. In der Schule entwickelt sich ein sehr positives Gespräch. Stefania wird zur Eingewöhnung ab 27.10.2011 gemeinsam mit ihrer Schwester als Betreuerin bis zum Schuljahresende im Dezember im Internat verbringen. Doch vorerst sollen wir mit Stefania ins Hospital fahren und abklären, weshalb sie nur noch getragen werden will.

Eine Lawine kommt ins Rollen. Seit 2008 ist Stefania keinem Arzt mehr vorgestellt worden. An der gesamten Wirbelsäule hat Stefanie Schmerzen. Die Füße sind platt, sie kann sie nicht richtig aufsetzen. Der Kinderarzt stellt sofort für den 1.11.2011 eine Überweisung ins Hospital nach Windhoek aus. Als beginnende Mobilisierung werden wir in die Physiotherapie geschickt. Stefania jammert vor Schmerzen. Die Tränen rollen, nicht nur bei Stefania. Montag sollen wir wieder zur Physiotherapie kommen. Doch vorerst geht der nächste Weg zur Orthopädietechnik, wo Stefanie zum ersten Mal ein paar Schuhe bekommt. Stefania strahlt: "Bekomme ich jetzt Schuhe für die Schule?" 13 Uhr, es ist Mittagspause. 14 Uhr sollen wir Stefania in der Chirurgie vorstellen. Das Kind versteht nicht, was heute alles mit ihm passiert. Jahrelang sitzt es Tag für Tag im Haus und wird kaum beachtet. Heute sind wir seit 4 Stunden mit ihm unterwegs und es nimmt kein Ende. Ich nehme noch einen Schluck aus meiner 1,5-l-Wasserflasche,

übergebe sie Dorothea und verspreche Stefania, nach der Mittagspause eine Puppe mitzubringen. Wir verzagen fast. "Puppen aus China, billig, die Arme und Beine fallen heraus. Das ist nichts für ein blindes Mädchen", bin ich mir mit Iris einig. Iris entdeckt eine Babypuppe mit einer Milchflasche. Wir landen einen Volltreffer. Wir kommen zurück und werden sofort nach der Puppe gefragt. Aller Schmerz ist für eine Weile vergessen. Der Chirurg ist sehr gesprächig. Er meint, dass Iris und ich doch gut Afrikaans verstehen müssten, es ähnelt dem flämischen. "Ich verstehe eher sächsisch oder russisch", entfährt es mir. "Ach, hinter der Mauer. Ich stamme aus der Demokratischen Republik Kongo und kann französisch." Wir tauschen ein paar russische und französische Brocken und dann unsere Email-Adresse aus. "Ich komme nächstes Jahr nach Deutschland, dann unterhalten wir uns weiter." "Ich kann Sie aber finanziell nicht unterstützen." "Brauchen Sie auch nicht." Stefania hat sich inzwischen wieder etwas beruhigt und wir werden zum nächsten Arzt geschickt. Sie schreit jämmerlich als sie die

Tetanusimpfung und die Betäubungsspritze bekommt. Ein zweites Mal reiht sich Marcus bei den Wartenden vor der Apotheke ein. Inzwischen biete ich Stefania und ihrer Schwester Dorothea eine Banane an. Es beruhigt mich etwas, dass Stefania im Gegensatz zu vielen Kindern hier in der Region versteht, eine Banane zu essen. 15:45 sitzen wir alle ziemlich müde und verschwitzt im Auto. Marcus: "Fahre gerade aus, ich will noch einkaufen. Meine Familie hat nichts mehr zu essen." "Das hättest Du in der Mittagspause machen können. Stefania muss sofort nach Hause und braucht Ruhe. Steig aus und nimm Dir ein Taxi", sagt Iris.

Die Mutter von Stefania sitzt gemeinsam mit mehreren Frauen vor ihrem Kraal. Sie kommt nicht auf ihre beiden Töchter zugelaufen, um sich zu erkundigen, was alles geschehen ist. Ich stelle entmutigt fest, dass bereits andere Kinder mit Stefania's Puppe weglaufen. Nächsten Donnerstag wollen wir Stefania und Dorothea für zwei Tage ins Internat bringen. Wir haben von Dorothea verlangt, dass sie Stefania's Puppe mitbringt. 

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