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Trocken schon, aber ziemlich lecker
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Bei meinen Gesprächen mit Lesern zwischen zehn und zwölf prallen manchmal Welten aufeinander; meistens eher im negativen Sinn, doch manchmal auch mit einem für beide Seiten befruchtenden Fazit. Heute war das wieder einmal der Fall, und die Anruferin und ich waren uns am Ende einig, was wir uns auch bestätigt haben, dass wir uns mit einem guten Gefühl voneinander getrennt haben. Allerdings möchte ich gleich vorab erwähnen: Es ging dabei nicht um ein Thema von politischer, soziale oder gar weltanschaulicher Trageweite. Eigentlich eher banal: Wir haben über Essen und die Frage gesprochen, welche Beziehung man zu dem haben sollte, was man als Nahrung zu sich nimmt. Wer an dieser Stelle gerade stöhnt und seufzt, weil er meint, dass der Leserobmann mal wieder nur einen Anlass gesucht habt, um über eines seiner Lieblingsthemen zu schreiben, darf an dieser Stelle gerne aussteigen; einen schönen Tag dann noch. Darüber haben wir uns unterhalten:
"Ich möchte mich mit Ihnen über eine kurze Notiz unterhalten, die ich in der Zeitung gelesen habe", sagte die Frau in der Leitung und fragte mich weiter, ob sie mir die wenigen Zeilen kurz vorlesen kann; sie durfte, und ich hörte dies: Kalenderblatt: Vor 100 Jahren - In den Polizeistationen der Zwickauer Region wurden kostenlos Flugblätter verteilt. Sie trugen die Überschrift "Dörrt Gemüse und Obst, ?Schafft eine zweite Gemüseernte? und ?An die ländlichen Hausfrauen?. Die Blätter enthielten Ratschläge, die in der Zeit von Not beachtet werden sollten. (Zum Hintergrund: Die Kollegen in den Lokalredaktionen veröffentlichen in ihren Ausgaben regelmäßig solche historischen Meldungen unter der Rubrik "Kalenderblatt", und aus Erfahrung weiß ich: Diese kurzen Text stoßen auf viel Resonanz.)
Die Leserin erzählte mir von ihrer Großmutter, die vor 100 Jahren ein Kind war und häufig in Erzählungen von damals davon gesprochen habe, dass man zu dieser Zeit während des Ersten Weltkrieges tatsächlich bei der Versorgung mit Lebensmitteln von einer Notsituation ausgehen musste und das das Dörren von Obst und Gemüse eine Möglichkeit war, den einen oder anderen Engpass zu überbrücken. Die Oma habe ihr auch berichtet, dass sie sich damals öfters auch mal geweigert habe, gedörrtes Gemüse zu essen, weil es ihr einfach nicht geschmeckt habe, aber das dann mit der Alternative leben musste, dann gar nichts zu essen zu bekommen. Mit dieser Erinnerung habe sie versucht, ihre eigenen Kinder dahingehend zu erziehen, das gute und reichhaltige Essen zu würdigen und nicht als eine Selbstverständlichkeit anzusehen, oder sogar verschwenderisch mit Lebensmitteln umzugehen und immer zu retten, was zu retten war, und so wenig wie möglich in die Abfalltonne zu schmeißen. "Und diese Einstellung habe ich dann von meiner Mutter übernommen", sagte die Anruferin und fügte hinzu: "Gedörrtes Gemüse schmeckt mir zwar trotzdem nicht und steht für mich immer noch für den Mangel und guten Essen, aber ich finde es besorgniserregend, wie heute mit Lebensmitteln umgegangen wird und welche Mengen in der Mülltonne landen."
Mit dieser Reaktion hatte die Frau in der Leitung mit Sicherheit nicht gerecht und war deshalb auch einige Sekunden lang sprachlos: "Mit Nachdruck möchte ich Ihnen widersprechen", sagte ich und legte noch mehr einen ernsten Unterton in meine Stimme, als ich weitersprach: "Da sind Sie leider auf dem Holzweg, das genaue Gegenteil ist der Fall." Die Pause an dieser Stelle wurde mir dann allerdings doch etwas unheimlich, weshalb ich nicht Gefahr laufen wollte, dass sie einfach auflegt angesichts meines forschen Tonfalls, und ich klärte sie deshalb auf, nun mit betont freundlicher Stimme und dem Hinweis, dass die Angelegenheit nicht wirklich so ernst ist: "Ich kann Ihnen versichern, weil ich mich auskenne, dass das Dörren von Obst und Gemüse unter den Anhängern einer bewussten und gesunden Ernährung gerade hoch angesagt ist und man sich, wenn man nach Informationen sucht, vor Angeboten kaum retten kann." "Nein, nicht wahr, oder?", hörte ich die Leserin mich fragen, weshalb ich die Entscheidung traf, mit dem zweiten Hinweis die Verblüffung perfekt zu machen: "Und wer besonders etwas davon hält, immer das Beste an Geräten zu haben, kauft sich nicht irgendeinen Dörrautomat in der Kategorie bis 300 Euro, sondern kauft sich den Ferrari unter den Trocknern und legt dann mehr als 1000 Euro auf den Tisch." Das Fazit formulierte die Anruferin mit diesen Worten: "Dörrgemüse eine Delikatesse, ich fass es nicht." Bevor mir die Frage gestellt wird, will ich sie beantworte: Nein, ich habe noch keinen Dörrautomat, aber extrem reizvoll finde ich den Gedanken schon.
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