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Sterben ist nicht so wichtig, oder?

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Befürchtet hatte ich es. Doch als ich mir auch sicher sein konnte, dass meine Vorahnung sich als zutreffend erwiesen hat, war ich dann doch - gelinde gesagt - ziemlich geschockt: Elf Leser haben mich heute zwischen zehn und zwölf angerufen, um mit mir über die Frage der gesetzlichen Regelung der aktiven Sterbehilfe in Deutschland zu sprechen. Bevor jemand in Jubel ausbrechen möchte, weil das doch eine erstaunlich große Anzahl an Anrufern in so kurzer Zeit war, möchte ich bekennen, dass diese Bilanz nicht wirklich eine gute Nachricht ist. Die Erklärung:

In meiner Kolumne "Helfen Sie mir bitte!" auf der aktuellen Seite Leserforum hatte ich meine Verwunderung darüber zum Ausdruck gebracht, dass im Vorfeld der Entscheidung des Bundestags zur Regelung der aktiven Sterbehilfe in Deutschland in der vergangenen Woche eine öffentliche Diskussion zu diesem Thema offensichtlich nicht stattgefunden hat. Festgemacht habe ich diese Einschätzung daran, dass vor der Abstimmung keine Leserbriefe dazu bei mir eingegangen waren und auch im Telefon niemand mit mir darüber sprechen wollte, während anderthalb Jahre zuvor nach dem Artikel "Mein Tod gehört" mir des ehemaligen MDR-Intendanten Udo Reiter rund 200 Meinungen mich schriftlich und mehr als 50 telefonisch erreicht hatten. Die elf Anrufer, die mir bei der Suche nach einer Erklärung dafür helfen wollten, haben mir ausnahmslos im Grunde genommen nur zwei Gründe genannt, die sich leicht jeweils in einem Satz zusammenfassen lassen. Erstens: Die Menschen in Deutschland haben gerade andere Sorgen. Zweitens: Die da oben machen doch sowieso, was sie wollen.

Das Entsetzen wegen dieser Argumente, die nämlich - was ich nicht verschweigen möchte - alles andere als hilfreich für mich sind, begründet sich auf meine Meinung, dass der Mensch die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod beziehungsweise dem eigenen Sterben einen Stellenwert einräumen muss, der bei weitem über dem liegen sollte, den beispielsweise die derzeitige Debatte wegen der Flüchtlingskrise und deren Auswirkungen für sich beansprucht, während ich davon überzeugt bin, dass die gesetzliche Regelung der Sterbehilfe ganz oben auf der Liste der Themen stehen muss, bei denen ich davon ausgehe, dass hier die Demokratie zeigen kann, was sie wirklich zu leisten im Stande ist. Ob sie das mit den unterschiedlichen Entwürfen für ein Gesetz über die Grenzen der Fraktionen hinweg nicht getan hat? Sie hat es zumindest versucht, doch ist sie meiner Ansicht nach daran gescheitert, gerade weil bekannt ist, dass etwa 80 Prozent der Deutschen für eine völlige Legalisierung der aktiven Sterbehilfe sind. Also machen die da oben doch, was sie wollen und beugen sich dem Druck von Lobbyisten und Kirchen? So weit, dies zu behaupten, würde ich nicht gehen wollen, soweit geht mein Misstrauen gegenüber den Mechanismen der parlamentarischen Demokratie in unserem Land dann doch nicht. Was mich an den Punkt bringt, noch immer keine Antwort auf diese Frage zu haben: Warum haben die Leute vor den Entscheidung geschwiegen und warum bringen sie jetzt nicht mit Nachdruck ihren Enttäuschung darüber zum Ausdruck, dass sie die Neuregelung des Gesetzes zur Sterbehilfe für einen nicht ausreichenden Schritt in die Richtung zu dem Ziel halten, den Menschen die Möglichkeit eines selbstbestimmten Sterbens zu geben? Davon bin ich überzeugt: Wenn nur ein Bruchteil der zurzeit auf den Straßen und Plätzen in Deutschland wegen der Flüchtlingskrise protestierenden Bürgerinnen und Bürger lautstark und öffentlich ihre Stimme erhobenen hätten, wäre die Entscheidung im Bundestag anders ausgefallen. Ein Gesetz gegen die Interessen und Wünsche einer deutlichen Mehrheit der Deutschen ist ein Widerspruch in sich, wenn ich in diesem Zusammenhang von einer funktionieren Demokratie sprechen möchte.

Ein Frau hat mich heute angerufen: Ihr 96 Jahre alter Vater ist todkrank und hat nur noch wenige Monate zu leben. Weinend und um Fassung ringend hat sie mir gesagt: "Er will jetzt sterben, nicht mehr leiden, aber das lassen seine Ärzte nicht zu."

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