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Nach 26 Jahren: KW-Faktor bleibt hoch

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Eine nachvollziehbare Erklärung habe ich dafür nicht: 26 Jahre nach der Wende und der Wiedervereinigung  hat offenbar bei vielen Menschen das Ausmaß der Verärgerung über ehemalige DDR-Bürger, die vor 1989 sich über das normale Maß hinaus mit dem System und seinen Organen arrangierten und deswegen Privilegien genießen durften, nicht an Intensität verloren. In meinen Protokollen der Gespräche zwischen zehn und zwölf habe ich dafür den KW-Faktor eingeführt, um den Unterhaltungen mit Lesern einen Wert zu geben in der Hinsicht, wie heftig das emotionale Engagement der Anrufer ausfällt, wenn es das darum geht, ihren Ärger in Worte zu fassen und mit einem entsprechenden Nachdruck zu versehen. Denn diese verdichtete Form des Unmuts ist zum ersten Mal über mich hinweggefegt, als meine Kollegen in der Redaktion auf der Titelseite der "Freien Presse" ein Foto von Katarina Witt gezeigt haben und innerhalb eines Vormittags gleich sieben Anrufer mir zu verstehen gegeben hatten, was sie von der ehemaligen Eiskunstläuferin halten beziehungsweise warum sie meinten, man müsse die Olympiasiegerin mit Missachtung strafen, weil sie in der DDR mit der Staats- und Parteiführung zusammengearbeitet hat und sich als Aushängeschild verkaufen ließ. Dieser Ärger bekam damals einen KW-Wert von 9,3, der bis heute auf der Rangliste auf dem ersten Platz steht. Allerding wäre heute fast getoppt worden, denn mit einem KW-Wert von 8,9 war das gefühlsbetonte Vortragen der Meinungen nur unwesentlich weniger klar und deutlich ausgeprägt. Darum geht es:

Insgesamt sieben Anrufer wollten mit mir reden, nachdem sie meine Kolumne "Danke, Herr G." auf der aktuellen Seite Leserforum gelesen hatten. Ausnahmslos alle waren der Ansicht, dass Joachim Gauck kein guter Bundespräsident war und ist, weil er sich stets um einen Konsens mit der Bundesregierung bemüht und die Konfrontation gescheut habe, während er sich herzlich wenig um die wirklichen Sorgen und Nöte der (einfachen) Menschen in Deutschland gekümmert habe. Es sei, so der einhellig Tenor, deshalb richtig und gut, dass der ehemalige Pastor keine zweite Amtszeit anstrebe. Deutliche Signale, welche die Menschen im Land als solche hätten wahrnehmen können, wie beispielsweise bei Richard von Weizsäcker oder Roman Herzog, habe man von ihm nicht bekommen. Es fielen wenige schmeichelhafte Worte wie "Opportunist" oder "Trittbrettfahrer". Vier Leser aber gingen über die Kritik an der Leistung als Bundespräsident hinaus und machten keinen Hehl daraus, was sie von Joachim Gauck als Mensch halten; und dabei - ich betone - spielte diesmal überhaupt keine Rolle, dass er mit seiner Partnerin nicht verheiratet ist und die Ehe mit seiner Frau trotz der Trennung seit vielen Jahren immer noch nicht geschieden ist. Nein, ist ging den vier Lesern um sein Leben in der DDR und die Tatsache, dass er beziehungsweise auch seine Kinder ein selbstgestaltetes Leben führen konnten, ohne von der Staatsführung gemaßregelt zu werden; und das gerade weil Gauck ein christlicher Pastor war. Zitate möchte ich mir an dieser Stelle ausnahmsweise einmal sparen, denn ich will nicht für die Verbreitung dieser Ansichten verantwortlich sein. Denn meine Meinung ist: Man kann und muss dem Bundespräsidenten vieles vorwerfen und darf zu Recht kritisieren, in welchen Maße und Umfang er das Amt zum Wohle der Menschen in Deutschland ausgefüllt hat. Aber ihn als schlechten Menschen abzustempeln, nur weil er in der DDR eben kein Verfolgter war, sondern mit den Oberen gut auskam und deswegen auch Vorteile für sich und seine Familie in Anspruch nehmen konnte, ist nicht richtig. Denn irgendwann muss mal Schluss sein damit, die Menschen für das zu verurteilen, was sie in der DDR getan beziehungsweise nicht getan haben.

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