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"Der Schoß ist fruchtbar noch ..."

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Ein Leser hat mich heute angerufen, weil er mich darum bitten wollte, für ihn in Erfahrung zu bringen, ob das Theaterstück "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui" von Bertolt Brecht noch zum Lehrplan an den Schulen in Sachsen gehört. Zunächst dachte ich, dass die Suchmaschine mir schnell eine Antwort auf diese Frage geben wird, doch während ich noch tippte, meinte der Mann in der Leitung, dass er im Netz selbst schon gesucht und keine Antwort gefunden habe, weshalb er schließlich an die Zeitung beziehungsweise an mich gedacht hat. Also habe ich ihm gesagt, dass ich zwar meine Kollegen bitten könnte, in dieser Sache eine Recherche zu starten, aber keine Garantie übernehmen würde, dass er auf diesem Weg zu einer Antwort kommt. Einen Moment lang schwieg der Anrufer, dann hört ich ihn sagen: "Ach, lassen sie es, so wichtig ist es dann wohl doch nicht. Es hätte mich einfach beruhigt, weil ich mir dann vielleicht nicht mehr ganz so viele Sorgen um die Zukunft unseres Landes machen würde."

Nun war ich doch neugierig geworden und wollte wissen, wie ich das zu verstehen habe, weshalb ich ihn bat: "Seien Sie bitte so freundlich, mir das zu erklären, denn ich glaube, dass ich das gern wissen möchte." Also hat er mich aufgeklärt: Er verstehe das Theaterstück, das er bereits mehrfach auf der Bühne gesehen hat, als ein Parabel, in der es um die Machtergreifung Hitlers und vor allem um die psychischen und sozialen Mechanismen gehe, die von der Hauptperson ausgehen und auf die Menschen wirken. "Wissen Sie, ich sehe da nämlich sehr viele Parallelen zur heutigen Zeit", sagte er und fügte hinzu: "Und das macht mir Angst." Dann machte er erneut eine Pause - ich hatte das Gefühl, er würde sich sammeln und sich auf den nächsten Satz noch bewusster vorbereiten - und meinte schließlich: "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch - dieser Satz aus dem Theaterstück will mir in diesen Wochen und Monaten einfach nicht aus dem Kopf gehen." Wenn er nun wüsste, dass zumindest ein Teil der Jugendlichen sich mit der Handlung dieser Geschichte während des Schulunterrichts auseinandergesetzt hat, würde er mehr darauf vertrauen können, dass es in der Generation, die jetzt gerade erwachsen wird, auch Leute gibt, die diese gefährliche Entwicklung nicht nur erkennt, sondern sich auch entschließen kann, etwas dagegen zu unternehmen.

Abschließend habe ich den Mann noch gefragt, ob er das Buch "Die Welle" von Morton Rhue aus dem Jahr 1981 kennt oder es vielleicht sogar gelesen hat, was er verneinte, aber mir versprach, es sich möglichst bald zu besorgen, nachdem ich ihm erzählt hatte, auf welch perfide Art es Menschen verstehen können, Macht für sich zu instrumentalisieren und für ihre Zwecke und Ziele zu missbrauchen, ohne dass ihre Opfer überhaupt mitbekommen, was mit ihnen geschieht. "Dazu sehe ich nämlich viele Parallelen zu dem, was heute in Deutschland passiert", sagte ich dem Anrufer. Erst hinterher ist mir eingefallen, dass ich ihm noch hätte raten können, sich den Film "Die Welle" aus dem Jahr 2008 mit Jürgen Vogel in der Hauptrolle anzuschauen. Aber vielleicht ist auch gut, dass ich das nicht gemacht habe, denn wer den Streifen gesehen hat, muss einfach die Furcht an sich heranlassen angesichts einiger Entwicklungen in den vergangenen Monaten; gerade in Deutschland, gerade mit Blick auf unsere Geschichte.

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