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Ein Nasenbär und die große Politik

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Dieser eine Anruf heute um kurz nach zehn hat dazu geführt, dass ich mich entschieden habe, die Weihnachtsjahreswechselwinterpause meines Blogs zu beenden; der Mann meinte: "Ich habe da eine Idee, vielleicht können Sie sie mal weitergeben: Wie wäre es, wenn man die Flüchtlinge dazu verpflichtet, bei der Schneeberäumung mitzuhelfen?" In diesem Moment war mir klar, dass ich nicht länger schweigen möchte angesichts der manchmal mit wundersamen Themen und nachdenklich stimmenden Kuriositäten ausgefüllten Gespräche mit Lesern zwischen zehn und zwölf. Nur zum Vergleich, diese Anliegen von Anrufern waren von mir zwar daraufhin geprüft worden, mich wieder mit Einträgen an dieser Stelle zurückzumelden, doch letztendlich dann doch verworfen worden:

"Das Rezept für die Hühnersuppe können Sie in die Tonne kloppen, ebenso wie die Empfehlungen für die Zubereitung, ich verrate Ihnen jetzt mal, wie das richtig geht und worauf man achten muss, damit die Suppe auch wirklich ihre Wirkung als Mittel gegen Erkältungskrankheiten und Infektionen der Atemwege entfalten kann", sagte die Frau in der Leitung und verwies als Grunde für ihren Anruf auf den Artikel "Die Wundersuppe" auf der Seite "Rat und Leben" gelesen hatte. Dass man bei dem Ansetzen der Brühe bereits damit beginnt, kräftig und bewusst ein- und auszuatmen, ebenso wie beim Essen dann, damit man die wohltuenden und heilenden Stoffe bereits auf diesem Weg inhalieren kann. Ich habe sieben Minuten lang mitgeschrieben, weil sie darauf bestand, bevor ich das vollständige Rezept einschließlich der Anweisungen zur Zubereitung in die Tasten geklappert hatte. Vollständig gebe ich es nicht wieder, höchstens auf Anfrage, nur ein Auswahl der Zutaten soll genannt werden: Knoblauch, Sellerie, Petersilie, Koriander,  Zitronenpfeffer, Minzblätter, Basilikum, Curry, Thymian, Zwiebeln und Möhren.

"Mein Kühlschrank bleibt stumm, wenn die Milch alle ist. Das Duschwasser drehe ich noch mit der Hand auf. Ich habe kein Internet und kein Smartphone und denke und handle noch selbst, nur meinem freien Willen verpflichtet. Mein Onkel, dem ich gelegentlich schreibe, sammelt meine handgeschriebenen Briefe mittlerweile als museales Kulturgut. Bin ich obsolet?", fragte mich ein Leser, nachdem er das Interview „Superreiche sind der Zukunft näher“ gelesen hatte; darin meinte der Wissenschaftler Thomas Druyen, dass die Gesellschaft einer Zeit voller technischer Wunder entgegenblicke. Kurze Zeit danach hatte ich eine Leserin in der Leitung, die mich mit sorgenvoller Stimme fragte; "Meinen Sie wirklich, dass das bald der Fall sein wird? Denn kann ich nicht mehr mit dem Bus in die Stadt fahren." Sie hatte den Bericht darüber gelesen, dass es Pläne bei den Betreibern von Busse und Bahnen gebe, die Fahrkarten aus Papier in fünf bis sechs Jahren ganz abzuschaffen und nur noch Tickets für das Handy oder den Tablet-PC zu verkaufen.

Einen Leserbrief zur Serie "Baustelle Demokratie" wolle er nicht schreiben, meinte der Mann in der Leitung, denn im Formulieren sei er nicht so gut, die richtigen Worte würden ihm nie einfallen, aber er hätte einen Vorschlag: "Wenn Sie mal auf der Kulturseite als Gedicht der Woche den Text eines Liedes von Udo Jürgens abdrucken, würden Sie damit meine Meinung zum Politikbetrieb in unserem Land auf den Punkt bringen. Anschließend habe ich mir den Song im Netz mal angehört und verstand, was der Anrufer gemeint hatte, denn der Refrain beginnt mit der Zeile "Alles im Griff auf dem sinkenden Schiff".

Auch bei diesem Anruf handelte es sich um eine Leserin, die zur Serie "Baustelle Demokratie" sagen wollte, sie meinte: "Auch Ihre Zeitung könnte maßgeblich dazu beitragen, dass die Baustelle künftig eine weniger große ist." Natürlich wollte ich wissen, wie das zu verstehen sei und ob es dabei um die Pressefreiheit gehe, doch dem war nicht so, etwas anderes hatte sie veranlasst, mich anzurufen und diese Kritik anzubringen: "Es geht mir um die Gewichtung von Themen, da könnten Sie das eine oder andere Mal anders und häufiger zugunsten der politischen Meinungsbildung entscheiden", sagte sie und nannte mir dieses Beispiel: Auf der Seite Sachsen war eine Meldung mit der Überschrift "Rößler ermahnt die Politiker" zu lesen; Sachsen Landtagspräsident hatte von Politiker mehr Realitätssinn und eine Politik gefordert, die Mängel und begangene Fehler wahrnimmt und behebt. Diese Nachricht war 19 Zeilen lang, während daneben ein dreispaltiges Bild zu sehen war mit der Überschrift "Langer Abschied von den Nasenbären"; diese Tiere dürfen sich ebenso wie Waschbären und Nutrias im Tierpark Hirschfeld bei Zwickau nicht mehr vermehren. "Die Nasenbärin ist niedlich, das stimmt, aber meinen Sie nicht auch, dass der Diskurs über die Qualität unserer Demokratie im Verhältnis dazu mehr Platz verdient hätte?", fragte mich die Frau in der Leitung.

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