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Von Babys, Wölfen und Philosophen

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Daran möchte ich festhalten, es soll sie auch weiterhin geben: Meine Randnotizen aus den Protokollen der Gespräche mit Lesern zwischen zehn und zwölf zum Wochenausklang. Heute geht es darin unter anderem um Säuglinge in einer Ausnahmesituation, gute Nachrichten in der Zeitung und um einen Kollegen in der Redaktion, der damit leben muss, dass es eine Berufsgruppe gibt, die sich auf den Schlips getreten fühlt, weil sie auf der Titelseite der Zeitung einen Bericht gelesen hat, den er dort platziert hat und der den Vertretern dieser Zunft die Zornesröte ins Gesicht getrieben hat.

Episode 1: Eigentlich war es eine einfache Frage und ein eher unkompliziertes Thema: "Können Sie mir erklären, was ein Fotoshooting ist?", wollte die Leserin wissen und bekam von mir, weil ich glaubte, davon ausgehen zu können, dass ich eine Kritikerin von Anglizismen in der Zeitung in der Leitung zu haben, zunächst diese Antwort: "Na klar, da werden Fotos geschossen, also ein Termin, bei dem ein Fotograf ein einer bestimmten Stelle sich zur Verfügung stellt, um Bilder zu machen. Spontan fällt mir beispielsweise der Modefotograf ein, der seine Models in einer von ihm gewählten Umgebung so postiert, dass er schöne Aufnahmen von ihnen machen kann." Die Anruferin sagte: "Das stimmt, ich kann ihre Erklärung gut nachvollziehen." Dann machte sie eine (mir Unheil signalisierende) Pause, bevor sie zum eigentlichen Grund ihres Anrufs kam: "Dann erklären Sie mir doch bitte jetzt einmal, was ein Babyshooting ist. Werder da Säuglinge er- oder geschossen?" (Unmittelbar nach dem Gespräch habe ich gesucht, wo in der Zeitung von einem Babyshooting die Rede war; fündig wurde ich dann in der Beilage "Sachsen bietet".)

Episode 2: "Mir ist da eine Idee gekommen, wie sie die Zeitung für die Leser zumindest an einem Tag viel attraktiver machen können", sagte ein Anrufer, der mich eigentlich wegen der Bildnachricht "Bundeswehr schickt Panzer nach Estland" angerufen und mir ausführlich erklärt hatte, was er von dieser "Kriegstreiberei unserer Bundesregierung" hält. Er formulierte seine Erkenntnis zur Verbesserung der "Freien Presse" mit dieser Formulierung: "Von Montag bis Freitag sammeln sie nur gute Nachrichten und bringen diese dann auf einer Seite am Samstag, damit sich die Menschen zumindest mal ein paar Minuten lang daran erfreuen könne, dass die Welt so schlecht dann doch nicht ist."

Episode 3: Wie sage ich es dem Kollegen beziehungsweise wie überbringe ich dem Redakteur die Botschaft eines Leser, der ihn wegen eines Artikels, den er zu verantworten hat, am liebsten (so wie heute um kurz vor zwölf) "in die Wüste schicken" würde? Das ist nicht immer wirklich einfach, und manchmal überlege ich mir, ob ich nicht einen Einstieg wählen kann, der es dem Kollegen ermöglicht, sich langsam innerlich darauf vorzubereiten, dass er gleich etwas von mir hören wird, das sein Entscheidung für diesen Artikel in der Kategorie "völlig plemplem" einordnet. Also habe ich zuerst darüber nachgedacht, wie ich es dem Redakteur, der heute den Artikel "Der Wolfsretter - Warum verletzte Tiere in Niedersachsen mit einem Krankenwagen abtransportiert werden" auf die Titelseite ins Blatt gehoben hat, schonend beibringe, dass er gleich die Zusammenfassung eines verärgerten, in diesem Fall sogar wütenden Anrufers hören wird. Deshalb sagte ich in diesem Fall: "Mich hat gerade ein Schafzüchter angerufen."

Episode 4: Eigentlich hatte ich nach dem Interview „Mit Fakten kommt man nicht weiter“, in dem sich der Amerikanist Michael Butter über Verschwörungstheorien, die für sie empfängliche Zielgruppe und die Nutzlosigkeit von Gegenbeweisen äußert, von den Lesern einen Sturm der Entrüstung erwartet, weil ich davon ausgehen konnte, dass gerade die Leute, die solche Gedankengebilde zu ihrer Überzeugung gemacht haben, zu der Gruppe von Lesern gehört, die mich häufig anrufen. So aber war es dann: Nur ein Mann hat sich wegen des Artikels bei mir gemeldet, und er machte es auch noch so kurz, das ich nur einen Satz brauche, um seine Haltung zu Verschwörungstheorien auf den Punkt zu bringen: "Ich möchte nur den britischen Philosophen und Mathematiker Bertrand Russel zitieren, denn er hat einmal gesagt: Auch wenn alle einer Meinung sind, können alle unrecht haben." Danach hat er gleich aufgelegt, und es hat eine Weile gedauert, bis ich die Stelle in dem Artikel gefunden habe, auf die er sich vermutlich beziehen wollte. Michael Butter sagt in einer Antwort: "Selbst von offensichtlich schlüssigen Beweisen lassen sie sich meist nicht umstimmen. Denken Sie etwa an die Verschwörungstheorien über den 11. September. Wenn zwei Physiker meinen, die Türme seien gesprengt worden, sagt der Verschwörungstheoretiker: Die sagen die Wahrheit. Wenn 200.000 Physiker sagen, die Türme konnten natürlich durch die Explosion der Flugzeuge einstürzen, dann sagt der Verschwörungstheoretiker: Die lügen. Diese angeblichen Lügen werden wiederum zur Bestätigung der eigenen Theorie benutzt."

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