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Der Sachse, die Kirche und heißes Wasser
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Das Erlernen der sächsischen Mundart bis zu dem Stand, dass ich eine Unterhaltung führen kann, ohne groß über das Aussprechen der Wörter nachdenken zu müssen, habe ich bereits vor Jahren aufgegeben, weil mir diese Verdichtung von Vokalen und Konsonanten nur schwer über die Lippen kommt. Und das meine ich, weil ich nicht möchte, dass hier ein falscher Eindruck entsteht, uneingeschränkt respektvoll gegenüber denen, die Formulierungen wie "weiß ich nicht" oder "glaube ich nicht" auf zwei Silben reduzieren können oder ohne die Unterscheidung von weichen und harten Konsonanten auskommen. Da bin ich ehrlich: Zuhören finde ich ganz wunderbar, sprechen wird mir nie gelingen. Ich verweise nur deshalb darauf, weil es in meiner ersten Randnotiz aus den Gesprächsprotokollen mit Lesern zum Wochenausklang um den Hinweis einer Leserin auf ein sächsisches Wort geht, dass ich mittlerweile zwar schreiben kann, aber lieber nicht aussprechen möchte.
Episode 1: "Mein Großmutter wäre heute 130 Jahre alt geworden", sagte die Anruferin, fügte aber sogleich hinzu, dass das nicht der Grund für den Anruf sei, den vielmehr gehe es ihr darum, mich um Hilfe zu bitten. "Sie hat immer ein sächsisches Wort verwendet, von dem ich glaube, dass es mittlerweile ausgestorben ist, weil alle, die ich in der Vergangenheit danach gefragt habe, es nicht kennen." An dieser Stelle zögerte sie einen Moment lang, dann aber formulierte sie ihr Anliegen: "Vielleicht können Sie einen Beitrag dazu leisten, dass dieses Wort wieder bekannter wird und sich die Menschen in Sachsen daran erinnern, dass es einmal zum Wortschatz gehört hat." Spontan sagte ich dazu dies: "Zum einen bin ich vermutlich der falsche Ansprechpartner, denn ich bin kein Sachse und meiner Versuche, diesen Dialekt zu lernen, klingen wirklich nicht schön, und zum anderen müssen sie mir das Wort ganz langsam buchstabieren, weil ich allein vom Hören her mir nicht zutraue, es so aufzuschreiben, dass ich es bei nächster Gelegenheit einem echten Sachsen ans Herz zu legen." Meine Herkunft sei ihr egal, ich sei nun mal der Mann bei der Zeitung, der sich solche Bitten anhören darf, und die Schreibweise sei kein Problem, sie nannte mir die Buchstaben in Abständen von mindestens zwei Sekunden: Ä - l - i - t - z - s - c - h. Die Aussprache überlasse ich jetzt allen, die damit kein Problem haben, ich bekomme das Wort nur mit Mühe über die Lippen. Zur Bedeutung sagte die Frau in der Leitung: "Es heißt alleinstehend, und es geht um Menschen, die keinen Partner haben, also alleine leben." Nach einer kurzen Pause, während der ich glaubte, ein Kichern zu hören, erzählte sie mir noch dies: "Zu einer Frau im Dorf sagte meine Großmutter immer, das sei eine Älitzsche."
Episode 2: Ein Mann in der Leitung wollte von mir wissen, ob ich Krzysztof Charamsa kenne; ich verneinte dies, der Name sagte mir nichts. "Aber sie haben über diesen Mann schon mal berichtet", fügte der Anrufer daraufhin hinzu. Also bat ich ihn, mir den Namen zu buchstabieren, damit ich ihn in die Suchmaske des Archivs eingeben konnte, um mir auf diese Weise den Artikel auf den Schirm zu holen. Der Nachname reichte aus, es gab nur ein Treffer; vor anderthalb Jahren war auf der Seite "Kommentar & Hintergrund" ein Artikel mit der Überschrift "Ein Theologe, der sich traut" erschienen, in dem es darum ging, dass der im Vatikan beschäftigter Priester Krzysztof Charamsa sich zu seiner Homosexualität bekannt hatte und deshalb vom Heiligen Stuhl entlassen worden war, was ihn aber, so der Tenor des Textes, nicht weiter gestört habe, denn vielmehr sei Erleichterung das Gefühl, von dem er erfüllt sei. Der Anrufer sagte: "Ich möchte gern ein Leserbrief dazu schreiben." Meine Antwort: "Da kommen Sie leider viel zu spät, das wäre nur in den ersten Wochen nach dem Erscheinen des Berichtes möglich gewesen." Aber es gibt einen aktuellen Anlass, der Mann hat jetzt ein Buch geschrieben", informierte mich der Mann weiter. Weil mir die Archivsuche dieses Wissen gab, erwiderte ich: "Aber darüber haben wir nicht berichtet, also können Sie bei uns auch keinen Leserbrief veröffentlichen." Ein paar Sekunden lang hörte ich nichts, dann sagte der Mann: "Ich schicke Ihnen meine Meinung trotzdem." Das durfte er, vorgestern lag er dann bei mir auf dem Tisch. Ich zitiere den letzten Absatz: "Außerdem sehe ich ein Bestreben, den gesamten Kirchenstaat und die gesamte Katholische Kirche in den Schmutz zu ziehen. Als Priester kennt er auch den Schöpfungsauftrag: Unser Schöpfer hat uns als Mann und Frau erschaffen mit dem Auftrag: Vermehret Euch - Das wischt er einfach beiseite." Nun überlege ich mir, ob ich mir nicht das Buch kaufen soll, dass der ehemalige Geistliche geschrieben hat: Es trägt den Titel "Der erste Stein" und soll eine fachkundige Abrechnung mit der römisch-katholischen Kirche sein. Warum ich es lesen will? Ganz ehrlich? Ich habe da auch noch eine Rechnung offen.
Episode 3: Drei Tage lang habe ich mich gefragt, ob ich nach fast sieben Jahren in dieser Funktion die Leser nicht doch viel weniger kenne, wie ich bislang vermutet hatte, weil ich bis Donnerstag darauf gewartet habe, dass mich jemand anruft und mit mir über den Artikel "Wegkippen oder wieder aufkochen?" am Montag auf der Titelseite der "Freien Presse" reden wollte. Grundaussage des Berichts war, dass die Deutschen uneins sind, wenn es darum geht, was mit dem übrig gebliebenen Wasser im Elektrokocher geschehen soll. Für gewöhnlich rufen mich immer Leute an und fragen, wie es sein kann, dass ein so banales Thema es auf die erste Seite der Zeitung schaffen konnte; dies war aber diesmal nicht der Fall, auch über den Inhalt des Artikels wollte bis gestern um kurz nach elf niemand mit mir reden; das hat mich, ehrlich gesagt, etwas erstaunt. Irgendwann bin ich dann zu der Überzeugung gelangt, dass sich tatsächlich viele Menschen die Frage stellen, was sie mit dem restlichen erhitzen Wasser machen sollen, was bedeuten würde, dass dies ein Thema beziehungsweise eine Frage ist, die wirklich von großem Interesse ist. Dann rief mich eine Frau an und meinte: "Auf das eigentliche Problem geht der Artikel meiner Ansicht nach gar nicht ein, nämlich eine Antwort zu finden auf diese Fragen: Warum gibt es überhaupt immer ein Restwasser im Kocher? Warum erhitzen die Leute nicht so viel Wasser, wie sie dann tatsächlich brauchen? Das Abschätzen der Menge kann doch so schwer nicht sein, oder? Was meinen Sie?" Spontan habe ich ihr uneingeschränkt zugestimmt, denn bei mir ist das tatsächlich so: Zweimal am Tag erhitze ich Wasser im Wasserkocher: Morgens für die große Tasse mit der Mischung aus Malz- und echtem Kaffee (zwei Drittel zu einem Drittel) abends für eine Kanne voll mit Kräutertee (Griechischer Bergtee, der hauptsächlich aus griechischem Eisenkraut besteht und eigentlich nur im Internet erhältlich ist; in einem Supermarkt oder Teeladen haben noch nie welchen gefunden). Und bei beiden Kochvorgängen weiß ich ziemlich genau, wie viel Wasser ich erhitzen muss; einen Rest gibt es eigentlich nie. Deshalb stimme ich der Anruferin zu, die mich fragte: "Wäre es nicht viel sinnvoller gewesen zu untersuchen, warum die Menschen immer mehr Wasser erhitzen, als sie eigentlich benötigen?"
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