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Der Nürnberger Kamerad

Dass das Terror-Trio einen Helfer in Nürnberg hatte, diese Vermutung kursiert schon lang. Jetzt liefert der Schäfer-Report einen möglichen Namen.

Nürnberg/Oberweißbach. Ein putzig gezeichnetes Schaf ziert die Facebook-Seite von David F. Es blickt den Internet-Besucher von einer Art Ansteckbutton aus an, gerahmt vom Schriftzug "Freiheit für Wolle". Obwohl David F. als Imker ein Hobby hat, das mit Tieren zusammenhängt, hat der Ansteckbutton mit Tierliebe nichts zu tun. Mit ihm erklärt sich David F. solidarisch: mit seinem Schwager, dessen Spitzname "Wolle" lautet. Sein richtiger Name ist Ralf Wohlleben, jener ehemalige NPD-Kreis-Chef aus Jena, der seit November 2011 in Haft sitzt, weil er das Terror-Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe unterstützt haben soll. Er soll ihnen die Waffe für die Mordserie an neun ausländischen  Kleinunternehmern finanziert haben.

David F. ist der Bruder von Wohllebens Frau. Im Zuge der Ermittlungen, die seit November zum "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) laufen, geriet er nur einmal ins Visier. David F. war 2006 der Betreiber des Gasthofs "Zur Bergbahn" in Lichtenhain, einem Ortsteil von Oberweißbach im Thüringer Wald. Das ist der Ort, aus dem die mutmaßlich von Mundlos und Böhnhardt 2007 in Heilbronn ermordete Polizistin Michèle Kiesewetter stammt. Als David F. das Lokal betrieb, deichselte Wohlleben als Webdesigner dessen Internet-Auftritt.

Außerdem sorgten Wohllebens Kontakte für gute Auslastung der Kneipe. Am 18. März 2006 etwa, als Kamerad Patrick Wieschke, heute Bundesorganisationsleiter der NPD, mit seinem "Nationalen und Sozialen Aktionsbündnis Westthüringen" den Gasthof füllte. Wieschkes Aktionsbündnis galt als Nachfolger der Sektion Eisenach des aufgelösten Thüringer Heimatschutzes. In diesem Neonazi-Sammelbecken waren auch Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe vor ihrem Abtauchen aktiv. Nach Bericht des Thüringer Verfassungsschutzes
kamen am 18. März 2006 rund 150 Neonazis in den Gasthof. Auch Prominenz erschien: Frank Rennicke, einst Jugendführer der rechtsextremen Wiking-Jugend, jetzt bundesweit gefragter Barde der Neonazis, spielte und sang in Oberweißbach.

Obwohl der Verfassungsschutz über die Geschehnisse gut im Bilde schien, blieb eins unklar: ob an dem Abend fürs Terror-Trio gesammelt wurde. Eine solche Sammlung schließlich war bei einem anderen Konzert erfolgt, das Rennicke im oberfränkischen Coburg gegeben hatte. Über Letzteres berichtete das TV-Magazin "Report" in einem Beitrag, der Spuren des Terror-Netzwerks nach Bayern, insbesondere Nürnberg, beleuchtete. In Nürnberg mordeten die Terroristen gleich dreimal. Auch schienen die Tatorte dort penibel  ausgekundschaftet.

Die Bundesanwaltschaft betont, man gehe nicht davon aus, dass es in Tatortstädten Helfer gegeben habe. Im ausgebrannten Haus in Zwickau habe man Karten vieler Städte mit
handschriftlichen Anmerkungen gefunden, doch läsen die sich "nicht wie Anweisungen für Dritte, sondern wie Merkposten, die man für sich selbst festhält", sagt Sprecher
Marcus Köhler. Der renommierte Kriminologe Christian Pfeiffer dagegen beurteilt den zweiten Tatort in einer Nürnberger Änderungsschneiderei als so gut ausgekundschaftet,
dass er gegenüber "Freie Presse" urteilte: "Es liegt nah, dass es Helfer mit Ortskenntnis gab." Dass das Terror-Trio schon zu seiner Bombenbastler-Zeit in Jena einen Kameraden besuchte, den Mundlos in Nürnberg kannte, dass es jene Nürnberg-Verbindung seit 1995 gab, hat auch der Passbeschaffer des Trios, Holger G., zu Protokoll gegeben, der längst zum Kronzeugen avancierte. Sein Haftbefehl wurde übrigens gestern vom Bundesgerichtshof aufgehoben.

Jetzt liefert das in Thüringen vorgelegte sogenannte Schäfer-Gutachten sogar den Namen zu einem Nürnberger Kameraden des Trios: Jener David F., der aus seiner Solidarität
mit Waffen-Sponsor Wohlleben keinen Hehl macht, aber selbst bisher nicht mit den Terroristen in Verbindung gebracht wurde. Das Gutachten zum Verhalten Thüringer Behörden bei der Verfolgung des Zwickauer Trios, in dem die Kommission um Ex-Bundesgerichtshofsrichter Gerhard Schäfer nach Aktenstudium Versäumnisse aufdeckt, belegt: Bereits im Februar 1998, nur Wochen nach Abtauchen des Trios, bekam man den Hinweis, Beate Zschäpe sei seit Oktober 1997 mit jenem David F. aus Nürnberg befreundet.

Die Schäfer-Kommission kritisiert, dass nach dem Hinweis "auf eine Beziehung zwischen Beate Zschäpe und David F. ... weitere Maßnahmen angezeigt waren", diese aber nicht stattfanden. Zumindest teilweise scheint sich die Geschichte bei jetzigen Ermittlungen zu wiederholen. Denn was die Existenz eines Nürnberger Helfers betrifft, stellt sich die Bundesanwaltschaft derzeit entweder blind oder stumm. Als das menschenverachtende NSU-Bekennervideo auftauchte, war dieses an mehreren Orten in Deutschland nicht postalisch zugestellt, sondern persönlich abgegeben worden. Von wem? Ein Exemplar erhielt der Innenpolitikchef der "Nürnberger Nachrichten", Herbert Fuehr, der angesichts
des Inhalts jenes ohne Briefmarke angekommenen Pakets schockiert war. Es sei gar nicht sicher, dass das Video nicht doch per Post gekommen sei, sagte Bundesanwaltschaftssprecher Marcus Köhler der "Freien Presse". Beim hausinternen Postverkehr der Zeitung habe der Umschlag mit Marke schließlich abhandengekommen sein können.

Herbert Fuehr schüttelt den Kopf. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass bei uns jemand das aufgemacht und in einen anderen Umschlag gepackt hätte." Für ihn steht fest: Das Päckchen
wurde persönlich überbracht - von einem Mitwisser oder Handlanger. Zum Zeitpunkt der Überbringung war Beate Zschäpe zwar noch auf freiem Fuß. "Aber dass sie auf der Flucht quer durch Deutschland reiste, um das selbst einzuwerfen, ist unwahrscheinlich", urteilt Kriminologe Christian Pfeiffer. Ob ihr früherer Nürnberger Freund David F. eine solche Rolle übernommen habe, ob er das Terror-Trio auch nach dessen Abtauchen empfing - in Nürnberg oder in Oberweißbach, ob er mehr von ihrem Treiben wusste, diese Fragen hat "Freie Presse" ihm in dieser Woche über seine Facebook-Adresse gestellt. Geantwortet hat er nicht.

 

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