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Der V-Mann und sein Führer

Im NSU-Prozess versuchte der Senat gestern, die dubiose Rolle des Geheimdienstlers Andreas T. auszuleuchten. Doch davor stehen vielerlei Hürden.

München. Als V-Mann plauderte Benjamin G. gegenüber V-Mann- Führer "Alex" einst frank und frei über die rechte Szene von Kassel. Doch als der 33-Jährige gestern im NSU-Prozess am Münchner Oberlandesgericht zu seinen letzten Kontakten zu diesem V-Mann-Führer befragt wurde, war es vorbei mit der Plauderei: "So weit ich mich erinnern
kann, weiß ich davon nichts", eierte der Zeuge bei einer Frage von Richter Manfred Götzl herum. Dieser hatte ihn auf zwei Telefonate angesprochen, die am 6. April 2006, dem Tag des Kasseler NSUMordes, geführt worden waren: Telefonate zwischen dem Anschluss des hessischen Verfassungsschutzes, konkret dem von V-Mann-Führer Andreas T. alias "Alex", und dem Handy seiner Quelle 389, V-Mann Benjamin G., den T. damals vertrauensvoll "Benni" nannte. Ein kurzes Telefonat hatte laut Kontrolle der Verbindungsdaten am Mittag stattgefunden, ein weiteres von gut elf Minuten erfolgte kurz bevor der VMann- Führer in das Internetcafé aufbrach, in dem während seines Besuchs die tödlichen Schüsse auf den
Betreiber fielen. Mit seinem Verschwinden vom Tatort, dem Ignorieren eines Zeugenaufrufs und seiner Vorliebe für Nazi-Schriftgut hatte sich Andreas T. verdächtig gemacht
und war vor Auffliegen des "Nationalsozialistischen Untergrundes" selbst zum Hauptverdächtigen im Mordfall Halit Yozgat avanciert.

Weder an den eigenen Anruf bei "Alex" noch an dessen Rückruf konnte oder wollte sich Ex-V-Mann Benni gestern erinnern. Dabei hatte er vom hessischen Verfassungsschutz
für den Prozess eine Aussagegenehmigung bekommen. G. orakelte, bei den Telefonaten müsse es um die Vereinbarung eines Termins für die Übergabe seines monatlichen 225-Euro-Salärs gegangen sein.

Ein Elf-Minuten-Gespräch nur zur Absprache eines Treffpunkts? Das schien Richter Götzl zu lang. Doch förderten auch Rückfragen keine schlüssige Antwort zu Tage. Zum Treffen für die Übergabe des Spitzel-Salärs im April 2006 kam es vier Tage nach dem Kasseler Mord. Ein Treffen, bei dem "Alex" alias Andreas T. anders gewirkt habe, als Benni ihn je erlebt hatte. Abgehackt gesprochen habe er, ständig Pausen gemacht. "Normalerweise redete er offen und gerade", so Benjamin G. Richter Götzl hielt dem Zeugen vor, dass er 2012 in der BKA-Vernehmung sogar einen Punkt im Gespräch erwähnt hatte, ab dem sein V-Mann-Führer sich damals eigenartig verhalten hatte. Benjamin G. entsann sich. Erst als er "Alex" nach
dem Tage zurückliegenden Mord gefragt habe. "Alex" habe aufgehört, sich Notizen zu machen. Dauernd umgeschaut habe er sich. "Diesmal war nicht ich der Beobachtete", sagte
G. Es war das letzte Diensttreffen des V-Manns mit seinem Führer. Danach teilte man G. mit, "Alex" sei beurlaubt. Von seinem Folgebetreuer "Heinz" habe er erfahren, dass
"Alex" zur Zeit des Mordes am Tatort gewesen und unter fragwürdigen Umständen von dort verschwunden war. Angeblich habe er die Schüsse nicht gehört. "Jeder normale
Mensch hat ja Ohren. Und wenn mit 'ner Pistole geschossen wird, hört man das schon", tat G. eigene angebliche Verwunderung kund.

Wo er selbst gewesen sei am Tag der Tat, wollte Götzl wissen. Daheim.Ob er das Opfer Halit Yozgat gekannt habe? Nein. Bei weitergehenden Fragen wurde G. ganz wortkarg,
aus gutem Grund. Sein als Zeugenbeistand bestellter Anwalt funkte dazwischen, als Opferanwalt Thomas Bliwier G. dazu befragen wollte, dass der hessische Verfassungsschutz
Jahre nach Abschalten G.s als Quelle wieder bei ihm aufgetaucht war. Kurz vor G.s BKA-Vernehmung im NSU-Fall war das gewesen. Vor der Vernehmung sei ein Termin zur
Rücksprache nötig, hatte der Geheimdienst G. klargemacht. Zum Hintergrund der Absprachen kam man gestern nicht mehr. Der Zeugenbeistand beharrte darauf, dass
Antworten dazu nicht von G.s Aussagegenehmigung gedeckt seien.

Einige Opferanwälte empörten sich. Es stelle sich die Frage, wessen Interessen der Zeugenbeistand vertrete. Ein Blick in die Akte hätte diese Frage erspart. "Die Kosten für den
Zeugenbeistand übernimmt das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen", steht da. Richter Götzl unterbrach die Sitzung. Heute wird G.s Befragung fortgesetzt, ebenso die
seines an sich ebenfalls für gestern geladenen V-Mann-Führers.

 

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