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Am Limit: Reporterin begleitet Angehörige nach dem Gondeldrama von Cavalese

Sieben Opfer des Seilbahnunglücks von 1998 kamen aus Burgstädt und Hartmannsdorf. Eine Reporterin begleitete die Angehörigen nach dem Absturz. Journalismus im Spannungsfeld.

Burgstädt.

Wenn ich an die ersten Tage nach dem Seilbahnunglück von Cavalese im Jahr 1998 zurückdenke, tauchen sofort wieder die Bilder auf: Wie mein Kollege Swen Uhlig ins Büro kam und sagte: "Sieben Opfer kommen aus Burgstädt und Hartmannsdorf." Wie die Kleinstadt Burgstädt von Kamerateams und Presseleuten belagert war. Wie Burgstädts Pfarrer Jürgen Werner vor den sechs Särgen der Opfer in der Kirche des Waldfriedhofs stand. Und ich denke an die Gespräche mit den Angehörigen der Opfer des Unglücks.

Wie schreibt man über einen bewegenden Gedenkgottesdienst mit mehr als 1000Trauergästen, bei dem die Angehörigen genau wie die vielen offiziellen Teilnehmer voll im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen? Wie schafft man die Gratwanderung, einen journalistischen Bericht zu verfassen, ohne die Gefühle der Trauernden zu verletzen? Wie redet man mit jemandem, der gerade seinen liebsten Menschen verloren hat? Mit diesen Fragen sahen wir uns konfrontiert.

Glücklicherweise standen mir meine Kollegen Swen Uhlig und Andreas Seidel zur Seite. Gemeinsam berichteten wir über den Gedenkgottesdienst, zitierten Pfarrer Werner: "Wir wollen nicht trauern, dass wir sie verloren haben, sondern dankbar sein dafür, dass wir sie gehabt haben und noch besitzen." Und Burgstädts damaligen Bürgermeister Lothar Naumann: "In diesen Stunden des Schmerzes stellt sich durchaus die Frage nach den Unglücksursachen und den Begleitumständen." Wir schrieben: "Bei diesem Satz müssen sich zwei Männer ganz besonders angesprochen fühlen: der Generalkonsul der USA in Leipzig, Patrick Truhn, und der Verteidigungsattaché der US-Botschaft, Colonel Jan Karcz." Damals ahnten wir nicht, dass uns das Gondeldrama viele Jahre beschäftigen sollte.

Es war kein leichter Schritt, das Gespräch mit den drei Witwen aus Burgstädt und Hartmannsdorf zu suchen. Beim ersten Treffen schien es mir fast, als seien die drei Frauen erleichtert, über das Erlebte reden zu können. Unvorstellbar: Monatelang hatten sie sich darauf gefreut, mit zwölf weiteren Skisportlern des Sportvereins Grün-Weiß Mohsdorf einen Urlaub in den Dolomiten zu verbringen. Doch dann kam alles anders. Acht Stunden dauerte es am 3. Februar 1998, bis die schreckliche Vorahnung zur tödlichen Gewissheit wurde. "Als ich die Gondel unten liegen sah, wusste ich sofort, dass mein Mann drin ist", sagte eine Witwe. Sehr offen sprachen die drei Frauen über die Lücke, die das Unglück in ihr Leben gerissen hatte, und über ihre Zukunftsängste. Durch dieses und weitere Gespräche standen mir die Witwen sehr nahe, ich litt mit ihnen. Sie vertrauten mir, und ich wollte sie nicht enttäuschen - ein Spannungsfeld zwischen journalistischem Anspruch und menschlichem Feingefühl.

Zu Wort kamen die Angehörigen auch, als Unglückspilot Richard Ashby von einem US-Militärgericht vom Vorwurf der 20-fachen fahrlässigen Tötung freigesprochen wurde. "Ich hoffe, dass Ashby 100Jahre alt wird und jeden Tag daran denken muss, was er uns angetan hat", sagte eine Burgstädterin. Der Freispruch des Todespiloten ließ den Familien keine Ruhe.

Auch Menschen, die den Hinterbliebenen nach dem Unglück zur Seite standen, lässt Cavalese nicht los. Ein, zwei Sätze genügen - und sie sind sofort wieder im Gedankenstrom. Alt-Bürgermeister Lothar Naumann klingt am Telefon immer noch empört, als er sagt: "Die Amis wollten die Angehörigen damals über den Tisch ziehen." Auch dank seiner Unterstützung kam es zu der Zahlung der Entschädigungen in Millionenhöhe. Mit Blick auf die folgende Neiddebatte in der Stadt sagt Naumann: "Ich würde genau wieder so helfen." Pfarrer Jürgen Werner betont: "Es war ein einschneidendes Ereignis. Gott sei dank gab es nicht noch einmal so eine Tragödie." Anwalt Jörg Krummel allerdings, der die Angehörigen aus Burgstädt und Hartmannsdorf mit einem Kollegen aus den USA vertreten hatte, lässt von seiner Sekretärin ausrichten, dass alles sehr lange her ist und er keinen Kontakt mehr zu den Hinterbliebenen habe.

Auch ich habe seit vielen Jahren nichts von den Angehörigen gehört. Die meisten von ihnen sind weggezogen, eine Witwe ist verstorben. Die Witwe, bei der ich dieser Tage geklingelt habe, freut sich über das Wiedersehen. Doch öffentlich sagen will sie nichts mehr. Die Angehörigen wollen endlich ihre Ruhe.

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