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Kämpferische Schwestern - Zeitungen mit Namen "Freie Presse" gab es nicht nur in Chemnitz

Der Name "Freie Presse" hatte in der deutschen Arbeiterschaft im 19. Jahrhundert einen guten Klang - aber meist war den Zeitungen kein langes Leben beschieden.

"Um die Weihnachtszeit 1870 war es diversen Arbeitern von Chemnitz in den Sinn gekommen, ein täglich erscheinendes Organ ins Leben zu rufen. Sie gründeten einen Zeitungsverein, dessen erste Versammlung von 31 Mann besucht war. Jeder legte einen Taler auf den Tisch, und da keiner eine blasse Ahnung von den Herstellungskosten eines Blattes hatte, glaubten alle, damit ihre Pflicht gründlich erfüllt zu haben." So beschreibt der Sozialdemokrat und spätere Anarchist Johann Most die Geburtsstunde der "Chemnitzer Freien Presse".

Nach einer flammenden Rede in der aufstrebenden sächsischen Industriestadt baten ihn Chemnitzer Gewerkschafter und Sozialdemokraten, die Leitung des Blattes zu übernehmen. Nach kurzem Zögern willigte Most 1871 ein. Und wie bei allen seinen zahlreichen Unternehmungen warf er sich mit ganzer Kraft in die Klassenkämpfe der Zeit. Tagsüber schrieb er für die Zeitung, deren abonnierte Auflage er innerhalb von sechs Wochen von 200 auf 1200 versechsfachte, abends sprach er auf Versammlungen in Chemnitz, Glauchau, Meerane. Fast überall folgten Anklagen wegen Hochverrats oder Aufrufen zur Gewalt auf den Fuß - hin und wieder mit Haftstrafen verbunden, die er zum Teil im Chemnitzer Roten Turm und in der Strafanstalt Zwickau verbüßen musste. Nur, um gleich danach wieder "die internationale Verbrüderung aller Völker gegen Tyrannen und Ausbeuter" zu predigen.

Most war bei den Chemnitzer Arbeitern so beliebt, dass er sogar zweimal in den deutschen Reichstag gewählt wurde. Als Reichstagsabgeordneter wurde Most erneut verhaftet, übernahm danach die Redaktionsleitung der "Freien Berliner Presse". Später ging Johann Most in die Vereinigten Staaten, wo er unter anderem mit einer der Begründerinnen der internationalen Frauenbewegung Emma Goldman zusammenarbeitete. Die "Chemnitzer Freie Presse" erschien noch bis zum 20. Oktober 1878, kurz vor Inkrafttreten des Sozialistengesetzes, wie "Freie-Presse"-Redakteur Andreas Luksch recherchiert hat.

Auch anderen sozialdemokratischen Zeitungen namens "Freie Presse" war kein langes Leben beschieden. Im Ruhrgebiet gab es unter anderem die "Elberfelder Freie Presse". Am 24. Januar 1888 verbot die Königlich-bayerische Regierung der Pfalz in Speyer die drei Tage zuvor erschienene Nummer drei der "Pfälzischen Freien Presse". Die "Pfälzische Freie Presse" brachte es wegen des Verbots nur auf insgesamt vier Nummern. Ihren Titel hatte sie einem gleichlautenden Blatt in Kaiserslautern entlehnt, das von der dortigen Parteiorganisation Ende 1887 eingestellt worden war. Eine "Freie Presse" gab es ab 1890 auch in Dortmund unter dem Namen "Westfälische Freie Presse. Organ für die Interessen des arbeitenden Volkes".

Berühmt war die von 1864 bis 1939 in Wien erschienene "Neue Freie Presse". Sie war von ehemaligen Redakteuren der "Presse" gegründet worden, denen ihre Vorgängerin, die 1848 zunächst als konservative Zeitung gegründete "Presse" nach der Niederschlagung der Revolution 1848/49 zu linkslastig geworden war. Die "Neue Freie Presse" (NFP) erschien erstmals am 1. September 1864. Sie etablierte sich bald als führendes Blatt der Habsburgermonarchie, das insbesondere vom liberalen Bildungsbürgertum gelesen wurde. Dies hatte sie auch prominenten Autoren zu verdanken, die für die Zeitung arbeiteten, wie beispielsweise Karl Emil Franzos, Eduard Hanslick, Theodor Herzl, Hugo von Hofmannsthal, Felix Salten, Arthur Schnitzler, Berta von Suttner und Stefan Zweig. Noch heute wird von der Presse gelegentlich darauf verwiesen, dass auch Karl Marx zeitweise als Korrespondent aus London für die NFP arbeitete; das Verhältnis war aber nur von kurzer Dauer und die Mehrzahl der von ihm verfassten Artikel wurden von der Redaktion nicht angenommen. Die Zeitung hatte zeitweise mehr als 500 festangestellte Journalisten. Sie wurde auflagenmäßig die drittgrößte Zeitung vor dem Ersten Weltkrieg (1912: 66.000 Exemplare). Ihre bis dahin höchste Druckauflage (90.000 Exemplare) erreichte die Zeitung im Jahr 1920. Die NFP hatte jedoch auch heftige Kritiker wie den Schriftsteller Karl Kraus. Für ihn stand fest, dass die "Tatsache, dass es keine Schlechtigkeit gibt, die der Herausgeber der Neuen Freien Presse nicht für bares Geld zu vertreten, und keinen Wert gibt, den er aus Idealismus nicht zu verleugnen bereit ist..."

Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen am 12. März 1938 und dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich wurde die Zeitung "arisiert", die 22 jüdischen Redakteure des insgesamt 37 Personen umfassenden Redaktionskollegiums wurden am 13. März sofort entlassen. Die Zeitung wurde unter nationalsozialistische Kontrolle gebracht und der Verlag, die Österreichische Journal A.G., am 18. Juni 1938 enteignet. Die Neue Freie Presse erschien am 31. Januar 1939 zum letzten Mal und wurde daraufhin mit dem populären Neuen Wiener Journal zum Neuen Wiener Tagblatt verschmolzen.

Zur selben Zeit gelangte der Name "Freie Presse" in Amsterdam noch einmal zu Ehren. Im Mai 1933 wurde von sozialdemokratischen Emigranten die Idee geboren, eine deutsche Zeitung für die Grenzregion herauszubringen. Sie sollte Freie Presse heißen - in Erinnerung an den guten Klang dieses Namens in der linken Zeitungslandschaft. Da die Anzahl der Deutschsprachigen in den Niederlanden auf 400.000 geschätzt wurde, strebte man eine Auflage mindestens 20.000 Stück an. In Deutschland wurde die Zeitung illegal verbreitet. Das "Wochenblatt für geistige und politische Freiheit" sollte der nationalsozialistischen Propaganda in Deutschland und in den Grenzregionen der Niederlande, wo viele Deutsche lebten, aus sozialdemokratischer Sicht entgegenwirken. Sie konzentrierte sich auf die deutschen Arbeiter in der Textilindustrie im Osten des Landes und die vielen Bergleute im Süden. Die erste Ausgabe erschien am 15. Juli 1933. Die Zeitung veröffentlichte nachrichtliche Texte, aber auch Beiträge bekannter Autorinnen und Autoren wie Klaus Mann, Martin Andersen Nexö, Theodor Plievier, B. Traven, Herminia Zur Mühlen und Alfred Kantorowicz. Auch Stefan Heym steuerte in der Nummer 26 vom 13. Januar 1934 ein Gedicht bei, "Das große Abenteuer", in dem er vor den Folgen des Nazismus warnte: "Du Stiller, Geduckter, Bescheidener, Scheuer - / Blind läufst du hinein, Idiot! Ins große Abenteuer".

Trotz prominenter Autoren und großen Engagements blieb die Auflage der "Freien Presse" viel geringer als erwartet, erreichte nur 6000 bis 7000 Exemplare. Da die deutsche Exil-SPD in Prag in eigene Zeitung herausgab, sahen die Parteifunktionäre das holländische Blatt eher als Konkurrenz und unterstützten es kaum. Auch Anzeigenkunden gab es nur wenige. Mangels weiterer Finanzierung erschien dann Nummer 28 vom 27. Januar 1934 als die letzte Ausgabe einer Wochenzeitung, die "... ein Königreich der Freiheit und Wahrheit auf der Grundlage der Gleichheit aller Wesen mit menschlichem Antlitz ..." errichten wollte, wie die Redaktion in der ersten Nummer versprochen hatte.

Zum Online-Spezial zu 75 Jahren "Freie Presse"

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