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"Stadtgeflüster": Sie ist die Frau hinter dem Chemnitzer Klatsch und Tratsch

Drei Dinge regieren die Welt, sagt der Dichter Robert Frost: Religion, Wissenschaft und Klatsch. Reden wir doch mal über das Letztere.

Wenn nicht gerade Pandemie ist, erscheint jeden Sonnabend und jeden Montag im Chemnitzer Lokalteil der "Freien Presse" ein "Stadtgeflüster". Die Rubrik bringt Anekdoten und Plaudereien über Menschen. Wichtiges und Unwichtiges, gerne Privates. Das Wort "Klatsch" ist angeblich dem Klatschen nasser Wäsche abgelauscht, das entsteht, wenn man sie mit Wucht auf einen Stein oder ein Brett schlagen lässt, so wie früher am Fluss oder in einer Waschküche. Nach dieser Erklärung, deren Richtigkeit nicht bewiesen ist, wurden beim Waschen die neuesten Geschichten ausgetauscht. "Nennt mich ruhig Klatschtante", sagt Peggy Fritzsche, die Autorin des "Stadtgeflüsters", "damit habe ich kein Problem."

Wer ist die Frau, die fast alles kennt, was in Chemnitz Rang und Namen hat? Sie stellt sich so vor: "Ich bin eine 42-Jährige mit einer Vorliebe für Menschen und deren Geschichten. Für Entwicklungen in der gesellschaftlichen Szene, für Kultur, gutes Essen und ein gutes Gespräch!"

Geboren in Karl-Marx-Stadt, im Heckert-Gebiet aufgewachsen und "sozialisiert", wie sie sagt, mit zwölf nach Schlosschemnitz umgezogen, später zum Kaßberg. Ihr jugendliches Ich beschreibt Peggy Fritzsche so: lebenshungrig, neugierig, offen. Sie war in einer Theatergruppe des Kulturzentrums Voxxx und suchte sich noch in der Schulzeit eine eigene Wohnung. "Ich wollte unter Leute, zu Konzerten, ins Theater, ja, auch in die Kneipe." Äußerlich unstet - bis heute 13-mal umgezogen in der Stadt, achtmal allein auf dem Kaßberg - wirkt sie absolut wie eine, die einen starken inneren Kompass hat. Aus Chemnitz fort, das habe sie nie gewollt. "Wozu meinen Lebensmittelpunkt aufgeben? Dafür gibt es keinen Grund. Hier sind meine Freunde. Zumal es für mich immer Fluchtpunkte auch woanders gab."

Mit 16 am Andrégymnasium fängt Peggy Fritzsche an zu schreiben - für Schulpublikationen, aber niemals Fiktion. "Ich schreibe gar nichts für mich selbst", sagt sie, "immer nur journalistisch-dokumentarisch." Stadtmagazine wie der "Stadtstreicher" oder "371" drucken ihre Texte. Irgendwann landet sie beim "Blick" aus dem Medienhaus der "Freien Presse". Daneben baut sie eine Existenz als PR- und Strategieberaterin auf, erhält Aufträge aus ganz Deutschland. "Ich bin gerne ab und zu mal raus. Aber ich komme auch immer wieder gerne zurück!"

Beim "Blick" schreibt damals - Mitte der 1990er-Jahre - der Szenegänger Herbert Berger eine Kolumne, die "Susi Leif" heißt und ihre Themen unter Lebenskünstlern und manchmal auch Nachtgestalten findet. Sie treffen die Verabredung, dass er sie einmal mitnehmen und sie an jenem Wochenende ihre erste Kolumne schreiben würde. Peggy Fritzsche bringt ein eigenes Netzwerk mit - mehrere Jahre Erfahrung in der Gastronomie, Bekanntschaften mit Künstlern wie auch mit Wirten. Küche und Tresen, vier Jahre lang: Schmiede (ex-Künstlerkeller), Café Kutsche, ZV Bunker.

Berger erschien dann nicht zum Termin. Er war just an jenem Wochenende gestorben. Und in Peggy Fritzsche wurde eine Szenekolumnistin geboren. Aus "Susi Leif" beim "Blick" wurde später "Promis, Storys und Gerüchte", dann zog die Kolumne in die "Freie Presse" um und hieß nun "Stadtgeflüster". Woher der Name kam, ist der Autorin entfallen.

"Wenn man so viele Menschen trifft", sagt Peggy Fritzsche, "dann rückt das die Dinge zurecht. Ich habe gelernt, mein eigenes Leben im größeren Maßstab zu sehen, nicht über Nichtigkeiten zu schimpfen, das Wertvolle zu erkennen. Ich erlebe ja die ganze Bandbreite: von Menschen aus dem Obdachlosenheim bis in die vermeintlich höheren Kreise. Wenn jemand aus einem anderen Land kommt und viel zu erzählen hat, dann freue ich mich. Ich treffe Männer, Frauen, Kinder, Arme, unermesslich Reiche, die Kreativen und die Einfallslosen, Leute mit buntem Hintergrund. Da übernehme ich auch Einstellungen. Ich glaube, dass mich das verändert hat."

Schimpfen, meckern, üble Laune, das sei bei ihr selten. Und wenn, dann meistens über Unabänderliches. Das Wetter. Trübe Tage im Mai. Sie sei ein Frühlingsmensch und eine südliche Seele. Italien ist ihr Sehnsuchtsort. Diese Leichtigkeit.

So dreht sich auch der "Klatsch" der Stadtflüsterin nicht um Abwertung, um Despektierliches. Eher um Sympathie, Plauderei. "Klatsch hält die Gesellschaft zusammen, erfüllt ein menschliches Bedürfnis. Ich bin schon als Gesellschaftskolumnistin bezeichnet worden. In der Zeitung finde ich das ganz wichtig, als Farbe. Gerade die kleinen Geschichten bringen, in ihrer vermeintlichen Kleinheit, viel Größe mit." Wenn Menschen ihr vertrauen, der "Freien Presse" ihre Geschichten erzählen, das berühre sie: die Sensation des Alltags, das Fenster ins Private. Sie scheint fast zu glühen, wenn sie davon spricht.

Inhaltlich geht es in ihren Geschichten oft um Engagement, Auszeichnungen, Kreativität. "Das Positive tut unserer Gesellschaft gut, das merken wir doch gerade jetzt. Eine unternehmerische Erfolgsmeldung bringt ein höheres Selbstwertgefühl für die Menschen der Region!" Ist das denn nötig? "Ja, ich teile das Chemnitz-Klischee: Die Leute sind eher zurückhaltend, zurückgenommen, trommeln sich weniger auf die Brust als Menschen aus anderen Regionen. Das ist schon ein Charakterzug. Und es fällt mir sehr auf den Wecker, wenn Menschen sich klein machen und mit wenig Selbstwertgefühl von sich sprechen!" Auch das ein Antrieb ihrer Arbeit.

Bei zehn erbaulichen Geschichten pro Woche, rechnet Peggy Fritzsche nach, komme sie auf 500 im Jahr. Und tausende in dem knapp ein Dutzend Jahren, in denen sie das "Stadtgeflüster" schreibt. Das zeige doch das "Riesenpotenzial, das Chemnitz hat". Alles von den Menschen kommend, die sich selbst engagieren, die anderen Mut machen, die zum Beispiel spenden. "Das gibt in der Summe auch ein Bild der Gesellschaft. Eines, das man vielleicht nicht immer so sieht."

Den verbreiteten Pessimismus, dass der soziale Umgang immer gemeiner und rauer werde, den teilt sie nicht. "Was man an Neid, Ungehobeltheit, Boshaftigkeit in den sozialen Netzwerken erlebt, ist mir im persönlichen Umgang nie passiert."

Und das Lamento, dass alles schlechter werde, das kulturelle Angebot ärmer, die Freiräume enger? Vielleicht nur eine Frage des Alters: "Ich glaube, es wäre ungerecht, wenn ich sagen würde, dass die Chemnitzer Szene sich verkleinert. Sie ist möglicherweise gleich geblieben. Ich selbst passe nicht mehr überall hinein. Bei den 18-Jährigen, den 24-Jährigen bin ich nicht mehr dabei. Irgendwann bewegt man sich aus der Nachtszene weg und geht öfters ins Theater." Und das, sagt Peggy Fritzsche, sei ja ganz normal.

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