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1979: Katastrophenwinter: Die DDR kämpft gegen Schnee und Kälte

Im Katastrophenwinter des Jahres 1979 muss wegen zu geringer Versorgung mit Braunkohle immer wieder der Strom abgeschaltet werden.

2. Januar 1979: Wie in ganz Nord- und Mitteleuropa herrschen auch in der DDR extreme Witterungsbedingungen. "Anhaltender strenger Frost, Schneeverwehungen und Eisglätte führen zu erheblichen Schwierigkeiten im Straßen- und Eisenbahnverkehr sowie in der Energiewirtschaft. Zehntausende Werktätige sowie Angehörige der bewaffneten Organe und der Zivilverteidigung nahmen unverzüglich den Kampf gegen Schnee und Kälte auf", heißt es in einem Text auf der Titelseite der "Freien Presse". Besonders den Norden der Republik trifft es hart. Auf Rügen sind zahlreiche Ortschaften tagelang nicht erreichbar.

Am Bahnhof von Karl-Marx-Stadt wird in den Mittagsstunden des Neujahrstages eine Temperatur von minus 17 Grad gemessen. "Trotz der grimmigen Kälte gelang es den Eisenbahnern, alle ankommenden Güterzüge abzufertigen und die Waggons in die Hauptrichtungen Riesa, Zwickau und Dresden weiterzuleiten", schreibt die "Freie Presse".

Die Bürger werden aufgefordert, "den hohen Einsatz der Kohle- und Energiearbeiter dadurch wirksam zu unterstützen, indem allerorts mit Elektroenergie und Gas sparsam umgegangen wird". Zudem sollte auf nicht notwendige Fahrten verzichtet werden. Vielerorts lässt die Kälte die Wasserrohre bersten. Am 4. Januar berichtet die "Freie Presse" von fast 80 Rohrbrüchen in Karl-Marx-Stadt. Zu einer Havarie kommt es auch an der Fernwärmetrasse im Flemminggebiet, die innerhalb von 26 Stunden beseitigt werden kann.

Immerhin der Unterricht wird an fast alle Schulen in Karl-Marx-Stadt fortgesetzt. Fritz Söllner, damals Direktor der Alexander-von-Humboldt-Oberschule, berichtet von Zimmertemperaturen zwischen 10 und 11 Grad. Die Kinder werden nach Hause geschickt, Reparaturen vorgenommen. Erst nach dem Mittag geht es mit dem Unterricht planmäßig weiter. Auch an der Pestalozzi-Oberschule Aue wurden die Schüler - mit Hausaufgaben für zwei Tage versehen - nach Hause geschickt, während Klempner in der Schule eine Havarie beseitigten.

Aufgrund der zu geringen Versorgung mit Braunkohle und gerissener Stromleitungen gibt es immer wieder flächendeckende Stromabschaltungen. Dazu kommen die zahlreichen Havarien an Wasserleitungen und Heizungen in den Betrieben. "Das betrifft zum Beispiel die Speisesäle und Betriebsküche in den Werken 1 und 4. Aus diesem Grund wurden Havariebrigaden gebildet, die gegenwärtig rund um die Uhr arbeiten, um diese Schäden zu beheben", wird Dieter Becker, Technischer Direktor im VEB Buchungsmaschinenwerk Karl-Marx-Stadt zitiert. Im VEB Damastweberei Aue werden eigentlich für später vorgesehene Reparaturen und Durchsichten von Maschinen vorgezogen. Um die zeitweilig zur Verfügung stehende Energie zur Produktion zu nutzen, holt man Arbeiterinnen verschiedener Abteilungen kurzfristig sogar nachts, oft nur für Stunden, in den Betrieb. In der Konsum-Bürstenfabrik Stützengrün werden die Tage, in denen kein Kraftstrom fließt, zu Arbeiten in der Packerei, zu Reparaturen und Holztransporten genutzt.

Der heute 67-jährige Berndt Conrad erlebt jene außergewöhnliche Silvesternacht vor mehr 40 Jahren als stellvertretender Gaststättenleiter im Schwarzenberger Ratskeller, der damals "Haus der Einheit" hieß. "Wir hatten das Haus voller Leute, etwa 300 müssen es gewesen sein. Zwei Kapellen spielten, eine im Saal, eine im Foyer", blickt der ehemalige Gastronom zurück, der zwischen 1992 und 2019 die Schanzenbaude in Johanngeorgenstadt betrieb. "Es herrschte Hochstimmung - bis gegen 22.30 Uhr der Anruf von der Energieversorgung kam, dass der Strom abgeschaltet werden musste. Wir haben schnell abkassiert, doch fast alle Gäste wollten noch bleiben." Ein Drama, die Leute sind angeheitert, wollen weiter feiern. Streichhölzer sind die erste Hilfe. Das Personal sucht und findet Kerzen, mit denen Tische, Fensterbänke, Simse und anderes bestückt werden. "Irgendwo hatten wir einen großen Kerzenvorrat. Aber so ganz wohl war uns bei der ganzen Sache nicht", spielt Conrad auf den Brandschutz an. Bei den Gästen kommt das gut: "Viele fanden das mit dem Kerzenlicht gemütlich, stießen um Mitternacht mit anderen an und blieben noch stundenlang sitzen." Die Gasversorgung hingegen, das weiß der 67-Jährige noch, bleibt stabil. "Deshalb mussten unsere Hotelgäste am 1. Januar auch nicht auf ihr gewohntes Frühstück verzichten." Für die Kellnerinnen und Kellner heißt das, dass sie die Speisen aus der Küche im Keller in das Restaurant im Erdgeschoss tragen müssen. Gegen 14 Uhr fließt der Strom wieder. (cw/stl)

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