
Foto: Andreas Seidel
90-Jähriger korrigiert Berichte über das Kriegsende in Burgstädt
Vier Gesellschaftssysteme hat der Autor kennengelernt. In einem Buch bewertet er die sowjetische Besatzung ganz neu. Dabei beschäftigt ihn ein Ereignis im Oktober 1945 noch heute.
Von Rita Türpe
erschienen am 17.04.2018
Burgstädt.
Zehn Jahre hat Eberhard Hoffmann an seinem Buch geschrieben. Der heute 90-jährige Burgstädter beschreibt darin seine Erlebnisse und beleuchtet Zusammenhänge, die er zum gesellschaftlichen Umfeld in vier unterschiedlichen Systemen sieht. Das Buch trägt den Titel "Verführt - verfolgt - verdrängt. Bilanz eines bewegten Lebens". Am Freitag stellt er es in einer Lesung vor.
Das Schreiben sei mühselig gewesen, sagt der agile Rentner. Zum einen, weil im Mittelpunkt schwierige Kapitel deutscher Geschichte stehen: das Ende des Zweiten Weltkrieges, das er in Burgstädt erlebte, und die folgenden mehr als vier Jahre, in denen er von der Außenwelt isoliert in Speziallagern des sowjetischen NKWD (Volkskommissariat für innere Angelegenheiten) interniert war. Außerdem sollte sein Werk mehr bieten als eine Aneinanderreihung von Episoden. "Ich will verfälschte Schilderungen über das Kriegsende in Burgstädt korrigieren und klarstellen, dass in den Lagern nicht nur Nazis und Kriegsverbrecher eingesperrt waren", sagt der Autor. Er verstehe das auch als Aufklärungsarbeit. Jungen Menschen sei oft nicht mehr bewusst, wie wichtig Demokratie und wie gefährlich Diktaturen und Extremismus sind.
In seinem Erfahrungsschatz haben die Widersprüche und Extreme, die Konflikte und Kämpfe von vier unterschiedlichen Gesellschaftssystemen Spuren hinterlassen. Der 1928 in Burgstädt Geborene trat als Kind dem Jungvolk bei, ab 1942 gehörte er zur Hitlerjugend, der Nachwuchsorganisation der NSDAP. Sein Traum sei die Fliegerei gewesen, schildert Hoffmann. Dafür legte er eine Segelflugprüfung ab, ließ sich allerdings auch für den Volkssturm ausbilden, war in Leipzig beim Aufräumen nach einem Luftangriff dabei und schließlich einen Tag lang Wehrmachtsoldat.
"Die Jungen der Jahrgänge 1928 und 1929 wurden in Burgstädt am 13. April 1945 einberufen und einer Werferabteilung angegliedert, die im Ort stationiert war. Am nächsten Tag waren die Amerikaner da, die Stadt wurde kampflos übergeben und wir kamen in die Gefangenschaft", berichtet Hoffmann. Im Juni kam er zurück. Im Oktober, die Stadt war nicht mehr amerikanische, sondern sowjetische Besatzungszone, wurden er und weitere 14 Jugendliche aus Burgstädt verhaftet. Alle seien wie er in der Hitlerjugend aktiv gewesen und hätten in Hartmannsdorf an der Volkssturmausbildung teilgenommen, so Hoffmann. Sie wurden verdächtigt, zu den Werwölfen zu gehören, einer von den Nationalsozialisten gegründeten Untergrundorganisation, die den Partisanenkampf gegen die alliierten Truppen führen sollte.
Der Vorwurf erschien ihm so absurd, dass er erleichtert dachte, ihm könne nichts passieren. "Ich hatte damit nichts zu tun. Partisanenkampf in einem vollständig besiegten Land und noch dazu in unserer Gegend, mit Orten wie dem Wettinhain zum Verstecken und Verschanzen, wäre auch gar nicht möglich gewesen", erinnert sich Hoffmann an seine Gedanken damals. In den Lagern bei Mühlberg/Elbe und im ehemaligen KZ Buchenwald machte er die leidvolle Erfahrung, dass es darauf nicht ankam. Heute geht er davon aus, dass in zehn Speziallagern etwa 10.000 angebliche Werwölfe, die meisten zwischen 14 und 17 Jahre alt, interniert waren. In diesen Lagern sei ein Drittel der Häftlinge gestorben, sagt Hoffmann. Nach 1990 engagierte er sich als Mitbegründer der Initiativgruppe Lager Mühlberg, wirkte an der Aufarbeitung der Geschichte und am Aufbau einer Gedenkstätte mit. Dafür sei ihm 2007 das Bundesverdienstkreuz verliehen worden, berichtet er.
In den vier Jahrzehnten zuvor hatte er "die Erfahrung des Gulag" verdrängt. "Nach der Entlassung 1950 war ich verpflichtet, über das in den Lagern Erlebte zu schweigen." Er war froh, wieder in Burgstädt zu sein, lernte Maurer, legte die Meisterprüfung ab und qualifizierte sich im Abendstudium zum Diplomingenieur für Bauwesen. Viele Jahre arbeitete er im Karl-Marx-Städter Ingenieurtief- und Verkehrsbaukombinat, später in der Fettchemie in Mohsdorf. 1953 heiratete er. Sohn Jürgen, Inhaber der Schwanen-Apotheke, wuchs in Burgstädt auf.
Eine Sache stört Eberhard Hoffmann bis heute: Sein Antrag auf Rehabilitierung ist abgelehnt worden, weil er nie verurteilt wurde. In der Begründung dafür heißt es, er habe keinerlei Straftaten gegen Bürger oder Interessen der UdSSR verübt. Er sei nur interniert gewesen als Person, die eine potenzielle soziale Gefahr für die in Ostdeutschland im Aufbau befindliche Gesellschaftsordnung darstellte.
Die Lesung mit Eberhard Hoffmann findet am 20. April ab 17.30 Uhr in Burgstädt im Veranstaltungsraum, Herrenstraße 21, statt. Eintritt und Speisen kosten 10 Euro. Anmeldung unter Telefon 03724 14768 oder per E-Mail an info@schwanenapo.de.