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Vor 73 Jahren begann der Tod auf Raten
Eine Frau erforscht die Todesmärsche in der Region. Sie recherchierte auch, was die Zwickauer Häftlinge durchmachten.
Von Uta Pasler
erschienen am 13.04.2018
Zwickau. 21 Jahre ist es her, dass die Breitenbrunnerin Christine Schmidt begann, sich für ein düsteres Kapitel deutscher Regionalgeschichte zu interessieren. "Es passierte auf einer Reise nach Israel. In der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem entdeckte ich Orte in Sachsen, die heute keine jüdischen Gemeinden mehr haben. Zwickau war einer davon", erklärt die heute 62-Jährige, wie sie als gelernte Physiotherapeutin zur Hobbyhistorikern wurde.
Die Christin machte sich damals auf die Suche nach den Juden, vergrub sich in die Zeit des Nationalsozialismus und erfuhr von ihrer Schwiegermutter von Gräueltaten direkt vor der Haustür: KZ-Häftlinge waren auf den sogenannten Todesmärschen - mit wechselnden Zielen, weil immer auf der Flucht vor den Alliierten - auch durch das erzgebirgische Breitenbrunn gezogen.
Schmidt interessierte sich für deren Schicksal, wollte wissen, was das für Menschen waren, fand Hinweise in Archiven, auch Überlebende, sogar in Amerika und Australien. "Zu einigen haben sich richtige Freundschaften entwickelt", sagt sie. Besonders berührte sie eine Recherche für einen Franzosen, der das Grab seines Vaters suchte und mit ihrer Hilfe fand. "Wir standen gemeinsam an dem Grab in Sadisdorf im Osterzgebirge." In dem Buch "NS-Terror und Verfolgung in Sachsen", das es kostenlos bei der Landeszentrale für politische Bildung gibt, hat Schmidt am Kapitel Todesmärsche mitgearbeitet.
Die Zwickauer Häftlinge, die für die Horchwerke geschuftet hatten, marschierten über Planitz, Ebersbrunn, Schönheide, Eibenstock, Johanngeorgenstadt und Karlovy Vary bis Tachov (beides Tschechien). Erst dort wurden sie von den Amerikanern erlöst. Was Schmidt herausfand, hat sie nicht wirklich verändert. Erschüttert hat sie jedoch, wie nah das menschenverachtende Regime ihren Vorfahren gekommen war. Als Naturfreundin, die das Erzgebirge beinahe über alles liebt, geht sie heute ganz anders durch die Wälder. "Ich kann mich dort heute auf Rad- oder Skitouren erholen. Hunderte von Menschen mussten an deselben Orten im kalten April 1945 um ihr Leben fürchten. Und mit Sicherheit gibt es noch immer unentdeckte Tote in den Wäldern", mutmaßt Hobbyforscherin Schmidt. Die Rentnerin ist noch nicht am Ende mit ihren Nachforschungen, sie will ihre Recherchen verdichten. "Es ist wie ein Puzzle, man muss alle Teile finden", sagt sie.