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Am Ende bleibt nur das Nachdenken
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Im Laufe der Jahre meines Berufslebens war es immer meine Prämisse: Wenn du kannst, dann lerne dazu; wann immer es geht und in vollem Umfang dessen, was sich als neuer Erkenntnisbereich erschließen lässt. Das galt in der Vergangenheit vor allem dann, wenn sich scheinbar unüberwindbare Hürden in den Weg stellten, und erst recht, wenn mir das Lernen wirklich schwer fiel, weil ich daran zweifelte, dass ich überhaupt dazu fähig bin, die eine oder andere Herausforderung zu meistern. Seit einem Jahr lerne ich - und das ist für mich in diesem Fall eine wunderbare neue Erfahrung - auch als Leser-Obmann eine Fähigkeit ganz neu: das Zuhören.
Ich meine nicht das Gespräch und seine Führung, nicht das Aufnehmen von Informationen, um nach der Verarbeitung eine Konsequenz zu präsentieren, nicht die Kommunikation ihrer selbst willen, nicht die Unterhaltung als kurzweiligen Zeitvertreib; nein, ich meine tatsächlich nur dies - das Zuhören. Leser der "Freien Presse" rufen mich an oder machen einen Termin mit mir aus, weil sie mir etwas erzählen wollen. Und entweder sagen sie gleich zu Beginn: Ich erwarte keine Reaktion von Ihnen oder der Zeitung, keinen Bericht und keine Berichtigung, keine öffentliche Stellungnahme von wem auch immer. Oder ich bekommen am Ende auf die Frage, wie ich denn jetzt helfen kann, die Antwort: Gar nicht, ich wollte nur, dass Sie das wissen. Und immer geht es um etwas, was in der Zeitung stand. Heute erwähne ich das an dieser Stelle, weil es mir jetzt innerhalb weniger Tage zwei Mal so erging, dass ich nur zugehört habe, um hinterher lange darüber nachzudenken zu müssen, was ich gerade erfahren habe.
Diese Beispiele zeigen, um was es mir geht, aber ich halte mich an das Versprechen, Einzelheiten aus den Gesprächen niemals an Dritte weiterzugeben:
Eine Leserin im Rentenalter nahm einen weiten Weg auf sich, um mich zu besuchen. Am Telefon konnte sie mir dies nicht erzählen: Vor mehreren Jahrzehnten sind sie und ihre Familie in große Schwierigkeiten geraten, weil ein Mann mit kriminellen Methoden seine persönlichen Ziele verfolgt und keine Rücksicht auf die Nachteile anderer genommen hat. Und dann liest sie heute in der "Freien Presse", wie die Leistungen und das Lebenswerk des Mannes gewürdigt werden. Und die Lesern sagt mir: "Sie können sich gar nicht vorstellen, was da an Gefühlen in mir wieder hochkommt."
Ein Leser hat mich angerufen, seine Stimme war brüchig, er musste mehrmals kurz unterbrechen, während er mir einen Teil seiner Lebensgeschichte erzählte. "Nach dem Krieg wurde ich nach Sibirien verschleppt und war sieben Jahre in einem Gulag; was ich dort erlebt habe, hat mich Zeit meines Leben bis in meine Träume verfolgt." Zunächst war mir nicht klar, während der Anrufer mir Details von seinen Erinnerungen berichtete, warum er mir das gerade jetzt sagte. Dann fiel dieser Satz: "Was meinen Sie, wie ich mich fühle, wenn ich jetzt in der Zeitung lese, dass es Menschen in unserem Land gibt, die den Kommunismus wieder einführen wollen?"
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