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Zeitung lesen unter Senioren: Hast du die Schere dabei?

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Eine Leserin hat mir heute am Telefon von ihrem Problem erzählt und gleichzeitig ein Anliegen vorgetragen; dazu hat sie mir eine Szene geschildert, die sich häufig in dem Alten- und Pflegeheim abspielt, in dem sie ein (wie sie sagt) zufriedenes Leben führt und auch noch viel Spaß am geselligen Zusammensein hat. An dieser Stelle erlaube ich mir, diese Begebenheit kurz (mit meinen Worten) wiederzugeben (alle Namen sind frei erfunden):

Leises Gemurmel erfüllt den Frühstücksraum, zusammen mit den volkstümlichen Klängen aus dem Radio und dem Duft nach Kaffee und süßen Brotaufstrichen kann man die gemütliche Atmosphäre fast schon mit den Händen greifen; niemand verbreitet Hektik an diesem Montagmorgen, das Personal lockert mit dem einen oder anderen netten Wort für die Senioren die Stimmung zusätzlich auf. Da geht die Tür auf, und Heiner P. betritt den Raum.

Der Mann mit dem grauen Haarkranz, der dunklen Hornbrille, einer graublau karierten Strickjacke und dem Gehstock in der rechten Hand schaut zunächst grimmig in die Runde, geht dann zu dem kleinen Tisch nahe dem Garderobenständer, blickt über die dort liegenden Zeitschriften, die trotz verknitterter Deckblätter noch viel von den bunten Bildern und großen, fast leuchtenden Überschriften erkennen lassen, und verzieht säuerlich das Gesicht. Seine Stimme ist fest, nicht sehr laut, aber doch deutlich zu vernehmen, als Heiner P. sagt: "So ein verdammter Mist, die Zeitung ist schon wieder weg."

Plötzlich verändert sich sein Blick, seine Augen erfassen den Raum, sein Blick fokussiert die Tische und die Bereiche rund um Teller und Tassen vor den Senioren, als er plötzlich ein großes Foto sieht, die Überschrift "Pechstein feiert ihren wichtigsten Erfolg" liest und festen Schrittes auf das Objekt seiner Begierde zugeht. "Kann ich den Sportteil haben, wenn Du damit fertig bist?", fragt Heiner P. den Mann, der kurz hochblickt, seine Hand aber sofort vorstreckt, die Zeitungsseiten selbstbewusst festhält, und dann sagt: "Aber erst wenn ich mit dem Fußball fertig bin, das kann noch eine Weile dauern."

Heiner P. setzt sich an den Nachbartisch, frühstücken will er noch nicht, ohne Bundesliga schmeckt ihm der Kaffee nicht. Der Mann neben ihm hält die aufgeschlagene Titelseite der Zeitung vor sich, Heiner P. sieht nur kurz hin und liest die Schlagzeile "Opposition droht Politikern nach Landesbank-Pleite mit Anzeigen"; das interessiert mich nicht, denkt er, verzieht die Stirn, und übt sich in Geduld, er versucht es zumindest. Hat Ballack nun gespielt oder nicht? Die Stimmen der drei Frauen, die auf der anderen Seite des Frühstücksraums gemeinsam an einem Tisch sitzen, nimmt er erst recht nicht wahr.

Die Damen haben die erste Mahlzeit des Tages bereits beendet, leicht unsicher schauen sie in die Runde, einen Zeitungsteil hält Monika S. in der Hand unter dem Tisch versteckt, während Waltraud F. ihre rechte Hand ganz offen auf einem anderen neben der Kaffeetasse gelegt hat. Da spricht Gabriele K. aus, was jetzt unbedingt geklärt werden muss: "Hast Du die Schere dabei? Also dann: Ich zuerst den Roman, dann du das rechte Drittel des Kreuzworträtsels und du die junge Mutter mit den zwei süßen Kindern." Ratzfatz ist das Papier verteilt, die drei Seniorinnen stehen auf und verlassen den Raum. Heiner P. wartet immer noch auf die Sportseiten, der Lokalteil liegt mittlerweile auf dem Tisch neben dem Garderobenständer; ein großer Kaffeefleck ziert den Aufmacher, ein kleiner roter leuchtet daneben, vermutlich Marmelade.

Die Leserin am Telefon hat mich um einen Gefallen gebeten: "Wenn Sie sich dafür einsetzen könnten, dann würde uns sehr freuen, wenn der Roman wieder die Länge wie früher hat, bevor Sie die Zeitung neu gestaltet haben; man ist ja jetzt ganz schnell mit dem Lesern fertig, das ist nicht schön."

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