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Betroffenheit macht sprachlos
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Zuerst habe ich in mich hinein geschmunzelt, fünf Sekunden später mich für diese Reaktion geschämt: "Können Sie täglich die aktuellen Werte der Radioaktivität in der Stadt Chemnitz veröffentlichen?" hat mir ein Leser per Mail geschrieben. Im ersten Moment dachte ich, dass man dieses Ansinnen mit heiterer Distanz betrachten sollte, weil die Erdbebenkatastrophe und das drohende Atomunglück in Japan doch so weit weg sind, dann habe ich sofort begriffen, was dieser Mensch für einen Beweggrund hat: Angst.
Dazu muss ich kurz erklären, warum ich dafür (grundsätzlich und nicht nur in diesen Tagen) das allergrößte Verständnis habe: Ich bin in einer Stadt im Emsland aufgewachsen, in der es zwei Atomkraftwerke gibt; das eine war eins der ersten überhaupt in Deutschland und war von 1968 bis 1977 nur wenige Jahre am Netz, bevor es wegen der vielen Störfälle stillgelegt wurde und seitdem als mahnende Ruine in der Landschaft steht; nur wenige Kilometer davon entfernt wurde 1988 ein neues Atomkraftwerk in Betrieb genommen, das bis heute genutzt wird. Der Widerstand in der Bevölkerung war in den siebziger und achtziger Jahren eher gering, weil die Menschen lieber die vielen Arbeitsplätze in dieser strukturschwachen Gegend von Deutschland sehen wollten und ein riesiges Kühlwasserspeicherbecken als attraktives Naherholungsgebiet als Gegenleistung bekommen haben. Zeit meines Lebens aber gibt es in meiner Heimat die Diskussion, ob es dort im Emsland tatsächlich eine höhere durch Krebs verursachte Sterblichkeitsrate gibt und ob dies mit den Atomkraftwerken zusammenhängt.
Deshalb ist für mich das Thema Atomenergie keinesfalls etwas, worüber ich mich in irgendeiner Weise lustig machen könnte. Das wird jeder verstehen. Bislang hat eine ganze Reihe an Lesern mir ihre Meinung über die jetzt auch in Deutschland erneut in Gang gekommene Diskussion geschrieben, und wir veröffentlichen diese Leserbriefe in der "Freien Presse" so schnell wie möglich. Am Telefon aber hat sich meine Erfahrung bestätigt: Betroffenheit macht zunächst sprachlos. Nur zwei Anrufer haben mit mir über dieses Thema sprechen wollten; eine Leserin sieht jeden einzelnen Menschen in Deutschland und auf der Welt jetzt in der Pflicht, darüber nachzudenken, wie er Energie sparen kann und möchte gerne, dass "Freie Presse" eine Serie startet über den verantwortungsvollen Umgang mit Strom. Der zweite Leser wollte von mir wissen, wir er ganz konkret helfen kann. Ich habe ihm gesagt, dass "Freie Presse" in den nächsten Tagen dieses Thema mit Sicherheit aufgreifen wird, sollte diese Hilfe aus Deutschland gestartet werden.
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