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Da sitze ich und denke: Eine weiße Fahne ...
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Manchmal wünsche ich mir, dass es entsprechend der weißen Fahne, die man bei einer Kapitulation schwenken kann, ohne vollständig das Gesicht zu verlieren, auch sprachlich so etwas gibt, mit dem man seinem Gegenüber signalisiert: Ich gebe auf. Leider habe ich für mich noch kein solches verbales Signal für meine Gespräche mit Lesern am Telefon entdeckt, denn in solchen Fällen sage ich für gewöhnlich: "Ich habe mir Ihr Anliegen notiert und werde es an die verantwortlichen Kollegen weitergeben". In dieser Woche habe ich sie wieder mehrmals schmerzlich vermisst, die weiße Fahne, in Worte gefasst:
Episode 1: "Wir sind eine Frauengruppe, alle schon im Rentenalter, und ich bin auserwählt worden, bei Ihnen anzurufen", sagte eine Leserin mit betont lauter und selbstbewusster Stimme. Das Anliegen klang deshalb auch etwas ultimativ: "Wenn Sie noch einmal solche Kontaktanzeigen auf der Sportseite veröffentlichen, dann werden wir alle ..." Diese Kritik hörte ich nicht zum ersten Mal, und deshalb ließ ich die Anruferin in Ruhe aussprechen, bevor ich sagte: "Ich werde die Geschäftsführung darüber informieren." Damit war die Anruferin auch zufrieden, doch sie wollte ihrer Kritik noch mehr Nachdruck verleihen und bat mich, mir vorzustellen, dass ein zehnjähriger Junge so etwas liest: "Das Paradies liegt näher als du denkst", zitierte sie eine Kontaktanzeige, dann noch eine zweite: "Ich mach Dir die Hölle heiß." Die Vorstellung fiel mir nicht schwer, denn für himmlische Vergleiche habe ich viel übrig, aber ich weiß auch, dass Zehnjährige im Netz unterwegs sind, und deshalb habe ich nur gedacht: Jetzt eine weiße Fahne, das wäre schön.
Episode 2: "Ich will Ihnen mal was sagen", meinte ein Anrufer, der mit mir über den Artikel "Ich will, dass er ins Gefängnis geht" sprechen wollte. In dem Bericht ging es um den Fall des Ex-Chefs des IWF, Dominique Strauss-Kahn, dem vorgeworfen wird, ein Zimmermädchen vergewaltigt zu haben. Das mutmaßliche Opfer hatte sich jetzt erstmals öffentlich zu den Geschehnissen in dem Hotelzimmer geäußert. Dazu der Leser: "Man kann eine Frau nicht zum Oralsex zwingen, sie muss doch einfach nur mal kräftig ..." Ich habe ihn zu Ende reden lassen; mein Schweigen empfand ich dann aber nicht wirklich als Kapitulation.
Episode 3: "Der Leitartikel zur Hungerkatastrophe am Horn von Afrika hat mir echt gut gefallen, denn der Redakteur bringt die Sache wirklich auf den Punkt, wie schlimm das alles ist und wer nun gefordert ist, gegen das Elend dort etwas zu tun ," sagte ein Anrufer. Das sind die Momente, in denen ich vor Erleichterung etwas lauter als sonst ausatme, weil ich mich freue, dass ich mit keinem verärgerten Leser spreche. Doch ich hatte mich zu früh gefreut: "Aber eine Frage müssen Sie mir beantworten, denn das verstehe ich nicht: Wie kann der Redakteur bei so viel Betroffenheit noch auf dem Foto in dem Leitartikel ganz oben in die Kamera lächeln, als würde er sich darüber freuen?" Dass es von den Kollegen in der Redaktion nur ein Foto für Leitartikel und Kommentare gibt, war für den Anrufer kein Argument. "Da hätten sie ruhig etwas sensibler sein können", fügte er noch hinzu, ohne zu ahnen, dass ich mich gerade nach einer weißen Fahne sehnte.
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