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Im Erdboden versinken - wie geht das?
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Irgendwann musste es ja passieren; lange habe ich gedacht, dass ich es mit viel Willenskraft verhindern kann; doch dem war nicht so. Denn heute um 10.02 Uhr ist einer meiner persönlichen Albträume wahr geworden. Und weil ich das ganz schrecklich finde und es mir jetzt noch, Stunden später, die Schamesröte ins Gesicht treibt, will ich eine meine bewährten Techniken anwenden, um solche emotionalen Krisensituationen zu bewältigen: Lass es raus, dann geht es Dir gleich viel besser. Ich bitte also um Verständnis, wenn ich nicht weiter von meinen heutigen Gesprächen mit Lesern berichte (von Wölfen, Päpsten und Börsenwochen und der Frage: Ich habe ein Enddarmproblem - kennen Sie einen guten Proktologen?); morgen dann wieder, versprochen. Also, so war das:
Dies muss ich zuvor kurz erklären: Vor meiner "Sprechstunde" von zehn bis zwölf kontrolliere und bearbeite (erstaunlich, wie ich das anglistische "checken" umgangen habe, nicht wahr?) die E-Mails in dem Ordner des Leser-Obmanns. Weil das häufig darin besteht, entweder die Anfrage an eine Lokalredaktion oder ein Ressort mit einem freundlich formulierten Hinweis sowie einem lieben Gruß weiterzuleiten oder die Mail, weil ich mich persönlich darum kümmern und Kontakt mit dem Leser aufnehmen will, in den Ordner "Noch zu erledigen" zu verschieben, habe ich mir angewöhnt, währenddessen mir noch im Netz den einen oder anderen politischen Kommentar anzuhören. Denn die Erfahrung hat mir gezeigt, dass es immer gut ist, auf Diskussionen vorbereitet zu sein. Und weil ich niemanden stören und vor allem nicht den Eindruck erwecken will, in meinem Büro würde etwas anderes gemacht, außer zu arbeiten, setze ich dazu den Kopfhörer auf. Wenn das erledigt ist, stehe ich auf, hole mir noch einen Kaffee und warte auf den ersten Anruf.
Der kam, noch vor dem Kaffee, heute um 10.02 Uhr: "Freie Presse Chemnitz, Sie sprechen mit Leser-Obmann Reinhard Oldeweme, was kann ich für Sie tun?" Keine Antwort; in solchen Situationen warte ich ein paar Sekunden, weil es durchaus sein kann, dass der Anrufer verbunden worden ist und deshalb nicht alles gehört hat, was ich gesagt habe. Und ich wiederholte meine Begrüßung. Keine Antwort, wieder warten. "Hier ist die Freie Presse, ist da jemand in der Leitung, der den Leser-Obmann sprechen möchte?" Keine Antwort. "Hallo, ist da jemand?" Keine Antwort. "Dann eben nicht, wer nicht will ...", habe ich dann halblaut gemurmelt, den Knopf "Trennen" am Telefon gedrückt und gedacht: Vielleicht hat da ein Leser doch Angst vor der eigenen Courage bekommen.
Weniger als eine Minute später - ich hatte mir den nächsten Leserbrief aus der Postmappe gegriffen und war dabei, die stark Sütterlin geprägte Handschrift zu entziffern - schweifte mein Blick von den Zeilen ab, fokussierte den Bereich neben der Tastatur und ... mein Blick erstarrte zu Eis: Das Headset des Telefons; auf meinen Ohren saß der Kopfhörer des Computers. Das bedeutet: Ich hatte den ersten Anruf entgegen genommen und gesprochen, doch ich hatte den Anrufer nicht hören können - aber der Leser mich schon, weil das Mikrophon auf der Entfernung kein Problem damit hat, die Sprache zu übertragen. Was hatte ich da noch gemurmelt?
Nach einem Jahr als Leser-Obmann stelle ich fest: Das war der mir bislang peinlichste Moment. (Nur noch dieser Hinweis: Die nächsten Leser am Telefon habe ich alle gefragt, ob das heute ihr erster Anruf bei mir gewesen sei; alle haben mir das bestätigt.)
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