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Es ging nicht anders, ich wollte es sagen

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Dies ist eine Warnung: Heute gibt es hier im Blog nichts zu lachen, keine Unterhaltung, kein ironisches (virtuelles) Augenzwinkern. Wer (nur) das will und wem nicht der Sinn nach einem ersten Thema steht, kann jetzt weiterklicken und aussteigen. Bis morgen dann. Tschüss.

Zuvor muss ich kurz etwas erklären: Ich habe eine Angewohnheit, eigentlich ist es mehr eine selbst auferlegte Lebensregel. Immer wenn ich den Satz "ich kann nicht" sagen will, aus den unterschiedlichsten Gründen und zu den verschiedensten Gelegenheiten, halte ich einen Moment inne und frage mich: Müsste es nicht eigentlich "ich will nicht" heißen? Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass dieser Gedanke und in der Konsequenz die Entscheidung für den zweiten Satz dazu führen, ein ganzes Stück weit ehrlicher sich selbst und seiner Umwelt gegenüber zu sein. Also:

Heute um 12.24 Uhr ist es zum ersten Mal passiert. Ich habe das Gespräch, das 37 Minuten gedauert hat, beendet und laut gesagt: "Ich will nicht mehr."

Keine Panik, es war keine grundsätzliche Entscheidung, es ging vielmehr um das eine Thema, über das ich gerade mit dem Anrufer so lange gesprochen hatte, weswegen mich in den vergangenen Wochen etwa 20 Leser angerufen und noch mehr mir einen Leserbrief geschrieben haben: Die Entscheidung eines Gerichts, dass ein verurteilter Kindermörder einen Anspruch auf Entschädigung hat, weil ein Polizeibeamter unrechtmäßig ihm mit körperlicher Gewalt gedroht hat, um den Aufenthaltsort eines entführten Kindes zu erfahren. Die Hintergründe dürften bekannt sein, ich muss sie nicht weiter erläutern.

Was ich aber erklären muss: Zuerst haben sich die Leser gemeldet, die überhaupt kein Verständnis für dieses Urteil hatten (Leserbriefseite vom 10. August). Dann haben die geschrieben und angerufen, die nicht nachvollziehen konnten, dass man kein Verständnis hat und dass man sich damit über geltendes Recht hinwegsetzt (Leserbriefseite vom 17. August). Anschließend trat wieder die andere Seite auf den Plan, weil sie das Argument mit dem im Grundgesetz verankerten Recht auf die Würde des Menschen (für einen Mörder) nicht gelten lassen wollten (Leserbriefseite vom 24. August). In der vierten Runde wollten dann die Leser zu Wort kommen, die wiederum dafür so gut wie kein Verständnis haben (heutige Leserbriefseite).

In vier Ausgaben der "Freien Presse" hat das Thema auf der Seite Leserforum eine große Rolle gespielt. Ich habe mit allen Anrufern diskutiert, niemals das Gespräch beendet, ohne dass der Leser alles gesagt haben durfte; kein einziges Mal habe ich die Geduld verloren. Vier Wochen lang verging kaum ein Tag, an dem ich nicht am Telefon darüber gesprochen habe. Aber heute um 12.24 Uhr drängte diese Erkenntnis mit aller Gewalt an die Oberfläche und ich sprach es aus: Ich will nicht mehr.

Deshalb und weil ich denke, dass mich Leser wegen dieses Blogeintrags morgen anrufen könnten, will ich abschließend den Kern meiner Haltung zu diesem Thema erläutern (kurz). Dies tue ich ausdrücklich mit dem Hinweis, dass ich trotzdem viel Verständnis für die Gefühle habe, von denen mir die Anrufer berichtet haben, nachdem sie von dem Gerichtsurteil erfahren und darüber in der "Freien Presse" gelesen haben. Aber:

Erstens: Gesetze sind verbindlich, für alle Menschen gleich geltend, es darf keine Unterschiede geben, erst recht keine von moralischen Urteilen oder weltanschaulichen Fundamenten getragene. Zweitens, für mich ganz wichtig: Zu meinen Lieblingsfilmen zählt der Streifen "Das Leben des David Gale" (2002 von Alan Parker mit Kate Winslet und Kevin Spacey). Es geht darin um den Umgang mit der Todesstrafe in den USA. Die Botschaft ist eindeutig: Die Schuld eines Menschen kann niemals zu 100 Prozent eindeutig und damit sicher bewiesen werden; selbst bei vermeintlich zweifelsfreien Beweisen, selbst bei einem Geständnis. Das Risiko eines Fehlurteils ist immer und ohne Ausnahme da. Deshalb steht im Grundgesetz unseres Landes völlig zu Recht: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Jemand kann von einem Gericht als Mörder verurteilt und bestraft werden, seine Würde als Mensch verliert er nicht.

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