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Unter uns: Sofort süß oder doch später?
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Wenn ich mich mit Lesern über das Thema "Die kritische Sicht auf das Leben an sich, gestern und heute zwischen Anspruch und Wirklichkeit" unterhalte, was sich tatsächlich häufig aus netten Plaudereien heraus ergibt, dann habe ich überhaupt keine Hemmungen, manchmal auch tiefgreifende Fragen zum Charakter des Anrufers zu stellen. Heute war es mal wieder soweit:
"Sind Sie der Journalist, der die Leserbriefseite macht?" hat mich der Mann am Telefon zu Beginn gefragt, nachdem er sich vorgestellt hatte (Name, Wohnort und Abonummer) und bevor er mir das eigentliche Anliegen nannte: "Ich würde Ihnen gerne mal ein paar Sachen dazu sagen." Weil kritische Stimmen zur Seite Leserforum bei mir an der Tagesordnung sind und meistens in nicht gerade einfach zu führende Gespräche münden, atmete ich einmal tief durch, bevor ich sagte: "Kein Problem, gibt es etwas, was sie stört?" Dann geschah ein Wunder:
"Nein, überhaupt nicht", sagte der Anrufer und fügte hinzu: "Sie ist für mich wie eine Buttercremetorte und die Rosinen darin ist die Kolumne des Leser-Obmanns." Von der bildhaften Sprache überrumpelt war ich, was sonst überhaupt nicht meine Art ist, bei meiner Reaktion darauf etwas einsilbig: "Echt?" Der Mann am anderen Ende der Leitung freute sich wohl darüber und empfand das als Angebot, sein Lob noch weiter auszubauen: "Und wissen Sie was? Ich lese erst immer alle anderen Teile und hebe mir mittwochs die Leserbriefseite bis zum Schluss auf."
Die anschließende Unterhaltung war dann wirklich locker, völlig unaufgeregt und hat, da bin ich mir sicher, uns beiden viel Spaß gemacht; es ging unter anderem um verbotene Glühlampen, eine Gallensteine sammelnde Frau in Berlin und um Millionäre, die mehr Steuern bezahlen wollen. Dann war irgendwann der Punkt erreicht, dass ich mich trauen wollte, wieder einmal meine Lieblingsfrage zu stellen, wenn es darum geht, etwas von dem Anrufer zu erfahren, was er mir expressis verbis (es floss mir in die Tasten, ich lass es mal stehen, das bedeutet: mit ausdrücklichen Worten) wohl eher nicht verraten würde. Dies wollte ich wissen: "Vor Ihnen steht ein Teller mit Milchreis. In der Mitte liegen drei rote Kirschen in süßem Gelee. Wie gehen Sie an die Sache ran: Essen Sie zuerst den Milchreiß und am Ende die Kirschen oder zuerst die süße Nascherei und hinterher den Rest?"
Bevor ich die Antwort des Lesers verrate, will ich noch kurz erklären, was ich mir dabei so denke: Der eine Mensch kann das Genießen genießen und empfindet die Vorfreude darauf als etwas Besonderes, das die Lust daran noch steigert; er isst die Kirschen zum Schluss. Der andere Mensch liefert sich grundsätzlich seinen Sinnen aus, er will sich ihnen nicht unterordnen, er will spontan die Lust daran ausleben und gar nicht über Alternativen nachdenken; er isst die Kirschen zuerst. Schon oft habe ich mit Lesern ihre Antwort, aber auch meine eigene in unterhaltsamen Gesprächen ausgewertet; das macht Spaß, finde ich. Der Anrufer heute aber hat mich gewaltig ins Grübeln gebracht, ich muss neu über alles nachdenken:
"Ich mische die Kirschen unter den Milchreis und freue mich dann, wenn ich mal beim Essen zufällig auf eine stoße, und dann denke ich: Welch großes Glück ich doch habe."
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