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Von Gefühlen, weiten Wegen und Träumen
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Wenn ich mir etwas angewöhnt habe, nachdem mir Leser am Telefon ihr Anliegen mitgeteilt haben, dann ist es dies: Ich zähle innerlich bis drei und sage erst dann, was mir zu dem geschilderten Problem oder zu der Frage einfällt. In den ersten Wochen als Leser-Obmann habe ich das nicht gemacht, und damals bin ich deswegen in die eine oder andere Situation geraten, in der ich ein "Missverständnis" aus der Welt schaffen musste. Heute gab es gleich drei Gespräche, bei denen ich froh darüber war, nicht das gesagt zu haben, was ich als erstes gedacht habe.
Episode 1: "Ich vermisse den Sternenhimmel", sagte die Frau am Telefon und löste damit in mir eine Kette von Assoziationen aus; schlagartig war ich sechzehn (oder vielleicht auch erst fünfzehn), es war schon dunkel, wir ( ... und ich) lagen am Ufer des Baggersees, unsere Hände ineinander verschlungen, über uns der Sternenhimmel; ach, und viele Jahre danach habe ich immer wieder besonders gerne das Lied "Blanket on the ground" gesungen, von diesem einen magischen Moment geträumt und ... Gerne hätte ich der Anruferin davon erzählt, gesagt aber habe ich: "Ich frage mal eben bei dem zuständigen Fachredakteur nach", bevor ich mich (nur Sekunden später) wieder bei der Anruferin meldete und hinzufügte: "Der Sternhimmel des Monats auf der Seite Ratgeber erscheint diesmal etwas später, am Donnerstag können Sie ihn studieren." Die Leserin war höchst zufrieden und legte auf.
Episode 2: "Der Briefkasten ist weg", sagte ein Leser, nachdem er sich vorgestellt hatte. Nun fiel mir sofort ein, dass die Kollegen in den Lokalredaktionen mittlerweile oft darüber geschrieben habe, dass die Deutsche Post AG aus Rationalisierungsgründen bereits mehrmals das Netz an Filialen ausgedünnt und auch die Dichte an Briefkästen zu Ungunsten der Kunden verändert hat. Das hätte ich natürlich dem Mann am anderen Ende der Leitung auch sagen können, doch beinahe wäre ich mit einem Geständnis herausgeplatzt: Ich habe überhaupt keine Ahnung, wo (von meiner Wohnung aus gesehen) der nächste Briefkasten ist. Daran musste ich spontan denken, denn sollte ich jemals in die Verlegenheit geraten, von zu Hause aus mich auf dem Weg zum nächsten Briefkasten machen zu müssen - ich wüsste nicht einmal, in welche Richtung ich gehen müsste. Was natürlich zu der Frage führt: Muss der Mensch so etwas wissen? Gesagt aber habe ich: "Wenn Sie mir ihre genaue Anschrift sagen, werde ich die Kollegen in der zuständigen Lokalredaktion bitten, mal bei der Deutschen Post AG nachzufragen, was sie sich dabei gedacht hat." Das sei eine gute Idee, meinte auch der Leser.
Episode 3: "Meine Tochter hat ein Buch geschrieben", teilte mir eine Leserin mit. Gedacht habe ich in dieser einen Sekunden nur: Da sind die wieder, die fünf großen Träume in meinem Leben. Und unweigerlich stellte ich mir in Gedanken die Frage: Werde ich jemals das Buch schreiben, diesen einen Roman, diese ganz besondere Geschichte, die nur ich erzählen kann? Ich glaube, ich habe tatsächlich geseufzt, nur ganz leise, die Frau hat das bestimmt nicht hören können, aber gesagt habe ich: "Wenn Sie mir den Namen der Tochter sagen, den Titel des Buches und den Verlag nennen, dann rede ich mal mit der für Literatur zuständigen Kollegin und frage sie, ob man darüber mal eine Rezension veröffentlichen könnte." Das sei mehr, als sie erwartet habe, sagte die Anruferin und war mehr als zufrieden.
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