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Angenommen: Honecker geht einkaufen

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Manch eine Frage von Lesern trifft mich völlig unvorbereitet, meine Unwissenheit und mein mangelndes Einfühlungsvermögen sind von einer Sekunde zur nächsten ein echtes Problem: "Können Sie sich vorstellen, dass Erich Honecker eine Kaufhalle betritt, mit dem Einkaufskorb unter dem Arm oder einem Beutel in der Hand, und dass er sich Gedanken darüber macht, was es zum Mittag oder am Abend zu essen geben könnte?"

Damit hat ein Anrufer heute das Gespräch mit mir eröffnet, weil er sein Anliegen sofort auf den Punkt bringen wollte; und ich hatte keine andere Wahl, als ihm dies zu antworten: "Nein, das kann ich nicht." Das aber war nicht das, was der Leser hören wollte, und deshalb war er hartnäckig und fragte: "Wieso nicht?" Nun war mein Problem nicht kleiner geworden, eher größer. Zum einen wollte ich nicht eingestehen, dass ich zum einstigen Staatsratsvorsitzenden der DDR - über das Wissen um seine geschichtliche Bedeutung hinaus - keine persönliche Beziehung hatte, während ich zum anderen bei solchen Fragen immer einen kleinen Hinterhalt vermute und deshalb gerne einmal mehr überlege, bevor ich etwas dazu sage. Meine Antwort in diesen Fall: "Weil er tot ist, und das schon ziemlich lange."

Das hat den Anrufer nicht verwirrt, eher das Gegenteil, wie ich sein nur kurzes Schweigen deutete, bevor er mir offenbar mit großem Vergnügen die Erklärung lieferte, was dann der Anfang einer politischen Grundsatzdiskussion war: "Honecker ist vermutlich Zeit seines Lebens niemals selbst einkaufen gegangen und wusste deshalb nicht, was es bedeutet, wenn es eben nur dazu zu kaufen gibt, was es gerade zu kaufen gibt; mehr nicht." Die sieben Minuten des restlichen Gesprächs lassen sich leicht zusammen fassen, denn es lief auf eine Frage hinaus, die tatsächlich ihre Berechtigung hat: Haben sich die Politiker, die mit ihren Beschlüssen zu Gesetzen unser tägliches Leben bestimmen, nicht in Wahrheit viel zu weit vom realen Leben entfernt und können deshalb gar nicht beurteilen, was die Menschen wirklich bewegt und mit welchen Alltagssorgen sie sich herumschlagen müssen? Weil ich dem Mann am anderen Ende der Leitung keineswegs widersprochen habe, fühlte er sich vermutlich darin bestärkt, daraus die eigentlich für ihn wichtige Schlussfolgerung zu ziehen, weshalb er mich überhaupt angerufen hatte: "Und das ist unter anderem der Grund, warum wir in Deutschland gerade dieses Problem mit dem Rechtsradikalismus haben. Die Politik hat sich von den Menschen entfernt, den Politikern fehlt der unmittelbare Bezug zu deren Sorgen und Nöten."

Es war eine wirklich angeregte Unterhaltung, die damit endete, dass ich den Anrufer fragte (ein besseres Beispiel fiel mir so schnell nicht ein): "Können Sie sich vorstellen, dass Angela Merkel an einer Tankstelle vorfährt, aussteigt, die Zapfsäulen anschaut und überlegt, ob sie echtes Super oder E10 tanken soll, weil das Benzin gerade mal wieder fünf Cent teurer geworden ist?" Der Leser hat nicht gezögert, mir zu antworten: "Das kann ich nicht", sagte er und fügte etwas später hinzu: "Und im Gegensatz zu Erich Honecker ist sie ..."

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