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Ruhig und gelassen: Dann eben nicht
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Erst gestern habe ich mich in meiner Kolumne auf der Seite Leserforum dazu bekannt, künftig mehr und (wenn es drauf ankommt) konsequent zu meiner Meinung und zu meinen weltanschaulichen Überzeugungen zu stehen. Dass es nur einen Tag dauert, bis ich erstmals mich dazu gedrängt fühle, hätte ich mir nicht träumen lassen; so oft kommt es nun doch nicht vor. Heute aber war es der Fall:
Das Gespräch wurde über das Servicecenter der "Freien Presse" auf meinen Apparat verbunden: "Ich möchte mal meinen Unmut loswerden, man hat mir gesagt, dass ich da bei Ihnen an der richtigen Adresse bin", sagte der Anrufer, nachdem ich mich vorgestellt hatte. Schweigen. Atmen. Knistern (vermutlich vom rechten zum linken Ohr gewechselt). Dann nur ein Wort: "Müller." Nicht dass ich diesen Namen unter Generalverdacht stellen möchte, zumal ich beim Zählen der Personen in meinem Freundeskreis und unter den Kollegen mit diesem Namen gerade bei siebzehn aufgehört habe, aber diese Situation war eindeutig: Der Mann will anonym bleiben; warum auch immer. Dann holte er aus:
Punkt 1: "Die Wettervorhersage vor ein paar Tagen in der Zeitung war eine Katastrophe. Angekündigt waren Wolken, tatsächlich schien die Sonne ohne Unterlass", sagte er mir. Gerne habe ich ihm die Verlässlichkeit unserer Wetterkarte erklärt und nachdrücklich betont, dass sich Wetterlagen nun mal innerhalb von 24 Stunden "wie aus heiterem Himmel" ändern können. Seine Reaktion darauf war ein leises Brummen.
Punkt 2: "Am Samstag klebte eine Werbekarte auf der Zeitung, und als ich sie abzog, blieb die Hälfte der Seite daran kleben, den großen Artikel konnte ich nicht mehr lesen, es fehlten zu viele Zeilen", beschwerte er sich. Dieses Problem ist der technischen Abteilung in unserem Druckzentrum bekannt, an einer Lösung des Problems wird gearbeitet. Deshalb empfehle ich den Lesern, die mich deswegen anrufen, immer dies: "Machen Sie es wie in der Liebe, mit viel Gefühl, dann bleibt nichts kleben." Seine Reaktion war ein Brummen.
Punkt 3: "Die Äußerungen unseres Bundespräsidenten zur Ukraine halte ich schlichtweg für eine Unverschämtheit", formulierte er seinen nächsten Ärger. Und nach einer kurzen Pause (ein tiefer Atemzug war zu hören) fügte er hinzu: "Schließlich ist der Mann ein Ehebrecher. Da weiß man doch gleich, was man von so einem Mann zu halten hat." Seine Reaktion auf mein Argument, dass dies doch wohl nichts mit seiner Qualifikation für das höchste Amt in Deutschland zu tun habe, war diese: "Hören Sie mir doch auf mit diesem Quatsch."
Punkt 4: "Erklären Sie mir doch bitte mal, wie Sie das gestern in Ihrer Spalte (Anmerkung: Gemeint war die Kolumne auf der Seite Leserforum) gemeint haben, als Sie von den Sinti und Roma gesprochen haben", sagte er, und es klang nicht wie eine Bitte. Erstmals während dieses Gesprächs leuchtete vor meinem geistigen Auge ein Alarmlicht auf, doch ich blieb ruhig und sachlich und erklärte dem Mann, dass es diskriminierende Bezeichnungen für die Sinti und Roma gibt und dass ich künftig Gespräch ablehne, in denen Leser diese Wörter auch dann benutzen, wenn ich sie darauf hingewiesen habe. Seine Reaktion darauf: "Sie wollen mir doch nicht weißmachen, dass diese (...) in Ihren Augen etwa Menschen wie Sie und ich sind." Das Alarmlicht blinkte, und nachdem er nicht nachließ und weiter wetterte, war für mich die Grenze überschritten: "Ich halte Ihre Einstellung für menschenverachtend und diskriminierend und ich möchte mit Ihnen über dieses Thema nicht weitersprechen", sagte ich, meinen Entschluss von gestern vor Augen.
Punkt 5: "Dann will ich Ihnen das mal erklären", sprach der Anrufer weiter, und der Unterton in seiner Stimme klang provozierend, was er sagte erst recht: "Schon Hegel hat gesagt: Der Mensch ist, was er als Mensch sein soll, erst durch Bildung. Wollen Sie diesem bedeutenden Philosophen etwa widersprechen?", fragte mich der Mann am anderen Ende der Leitung und wollte gleich weiter reden, mir von "doch wohl eher unterentwickelten" Kulturen etwas erzählen.
Dann ist es zum ersten Mal passiert, ich habe es getan: "Vielen Dank für dieses Gespräch, ich wünsche Ihnen doch einen schönen Tag", sagte ich und drückte den Knopf "Trennen" auf meinem Telefon. Ich habe es nicht bereut, ich habe mich nicht schlecht dabei gefühlt, im Gegenteil.
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