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Aber aber, bitte wahren Sie die Contenance
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Es ist weder eine wertende Klassifizierung, noch eine charakterisierende Typisierung, aber es gibt diese Leser nun mal. Und ich habe für sie nur deshalb die Abkürzung "WSSD-Anrufer" gewählt, damit bei mir eine (nur sinnbildliche) Alarmglocke im Kopf klingelt, wenn ich sie am Telefon habe, weil ich nicht Gefahr laufen möchte, mich zu blamieren oder in eine Falle zu tappen, aus der ich nicht wieder herauskomme, ohne meine Unwissenheit eingestehen zu müssen. Gestern und heute hatte ich insgesamt vier WSSD-Leser am Apparat, die mich wegen meiner Kolumne "Neuer Mut tut gut" auf der Seite Leserforum sprechen wollten. Und jeder von ihnen hat mindestens einmal, die meisten sogar mehrmals diese Frage gestellt: "Wussten Sie schon, dass ...?" Ganz konkret ging es den WSSD-Anrufer um diese Themen:
(Aber ich sage gleich, was natürlich Quatsch ist, weil es heißen muss, ich schreibe gleich, dass ich auf die Themen nicht weiter eingehe, weil mir das als wenig aufschlussreich erscheint, denn ich war in allen Gesprächen gegensätzlicher Ansicht; das sagt meiner Meinung nach alles.)
Episode 1: "Wussten Sie schon, dass in der Bibel steht ...", begann eine Anruferin das Gespräch mit mir, wobei es ihr ausschließlich darum ging, mir begreiflich zu machen, wie sehr sie sich darüber ärgert, dass Pfarrerinnen oder Pfarrer, die homosexuell sind, künftig mit ihren Partnerinnen oder Partnern in Pfarrhäusern leben dürfen.
Episode 2: "Wussten Sie schon, dass in modernen Atomkraftwerken ...", sagte ein Anrufer und erklärte mir sehr ausführlich, wie sicher diese Technik der Energieerzeugung mittlerweile sei und dass Deutschland auf keinen Fall darauf wird verzichten könne, wenn es eine der führenden Industrienationen bleiben will.
Episode 3: "Wussten Sie schon, dass die Wende mehr als 20 Jahre lang her ...", polterte ein Leser los, ließ mich zwei Minuten lang (trotz hartnäckiger Versuche meinerseits) nicht zu Wort kommen und beharrte auch zehn Minuten später immer noch auf seinem Standpunkt, dass die Überschrift "Ostfrauen mögen's städtisch" (heute auf der Titelseite) auf jeden Fall diskriminierend, wenn nicht sogar beleidigend sei.
Episode 4: "Wussten Sie schon, dass in der H-Milch ...", meinte ein Anrufer, weil er den Hinweis auf die gesunde Umwelt in meiner Kolumne als Anlass genommen hatte, mich auf diese Gefahr hinzuweisen, dass es Moleküle von Eiweißverbindungen darin gebe, die der menschliche Körper nicht knacken und deshalb auch nicht abbauen kann, weshalb sie irgendwo abgelagert werden müssen, was dann die Gesundheit des Menschen erheblich schaden könne.
Die WSSD-Anrufer sind mir weder weniger noch mehr sympathisch als andere Leser. Ich weiß diese Floskel als rhetorisches Mittel einzuordnen und verhalte mich entsprechend; niemals sage ich "ich weiß", auch verzichte auf Phrasen wie "tatsächlich, dass erstaunt mich jetzt aber" oder "kaum zu glauben"; ich höre einfach weiter zu, wenn mir Leser eine Frage mit diesen Anfangsworten stellen. Eine andere Redewendung aber ärgert mich jedes Mal, weshalb ich den Anrufern, die ihre Anliegen auf diese Weise vorbereiten, sofort und mit dem nötigen Nachdruck ins Wort falle. Das hört sich dann ungefähr so an:
"Passen Sie mal auf, ich ..." sagen die Leser, viel häufiger aber klingt es wie "Basse se ma uff, ...".
"Ich bin voll konzentriert und höre Ihnen zu", sage ich dann und bekomme als Reaktion darauf fast immer zunächst eine Pause, weil der Anrufer nachdenken muss, bevor er mich fragt: "Wie meinen Sie das?"
Eine Leserin hat mir heute eine Mail als Reaktion auf meine Kolumne "Neuer Mut tut gut" geschrieben, und darin sagt sie zu meiner Arbeit wörtlich: "... und man hat seine liebe Mühe und Not, Contenance zu bewahren." Dieses Wort kannte ich zwar, nun aber habe ich fest vor, es in meinen Sprachgebrauch aufzunehmen. Dann sage ich den Lesern, wenn das erforderlich ist: "Bitte wahren Sie Contenance." Denn ich weiß schließlich, wie schwer das manchmal ist.
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