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Eine 83-jährige Leserin der "Freien Presse" hat mich heute angerufen - es war das erste Mal, dass sie zum Hörer gegriffen und meine Nummer gewählt hat - und mir eine Geschichte erzählt, nachdem Sie am Vortag meine Kolumne "Liebe gute Fee" auf der Seite Leserforum gelesen hatte. Zunächst aber wollte sie von mir wissen, was ich mir im Leben noch so wünsche in den nächsten Jahren. Ich habe ihr offen und ehrlich geantwortet, sie war tatsächlich begeistert; mein Wünsche haben ihr sehr gefallen (auch wenn das jetzt vielleicht gemein ist, aber ich schreib sie niemals auf, weil ich das als schlechtes Omen werte, weshalb ich nur darüber spreche). Diese Geschichte hat sie mir erzählt; ihr Name ist Frieda B.:

Es war der 1. Januar im Jahr 1970, als Frieda B. zusammen mit ihrer Mutter eine Gaststätte aufsuchte, um das neue Jahr mit einer guten Mahlzeit willkommen zu heißen. "Wir wollten es uns einfach mal gut gehen lassen", erinnert sie sich an den Tag, als wäre es gestern gewesen, und fügt hinzu: "Wir wurden an einen großen Tisch platziert, an dem auch sechs Leute Platz gehabt hätten." Mutter und Tochter unterhielten sich gerade angeregt, als der Keller erneut an ihren Tisch trat und neue Gäste platzierte: Nun saßen ein Mann und zwei junge Mädchen mit am Tisch und schauten, ohne ein Wort zur Begrüßen gesagt zu haben, in die Speisekarte. "Ich habe dem Mann sofort an seinen Augen angesehen, dass er sehr traurig ist, weil ihm ein großes Unglück wiederfahren ist", erzählt Frieda B.

Den beiden Mädchen wurde es mit der Zeit langweilig, das Warten aufs Essen dauerte ihnen einfach zu lange, und sie begannen, sich gegenseitig zu necken und unruhig auf den Stühlen hin- und herzurutschen; der Vater musste sie immer wieder mal ermahnen und auffordern, ruhig zu sein. "Damals habe ich gedacht, dass man von den jungen Damen auch viel verlangt, wenn sie fast zwei Stunden still sitzen sollen", erinnert sich Frieda B. ganz genau, weil sie heute weiß, dass es gerade diese Tatsache war, die ihr Leben an diesem Tag für immer grundlegend verändert hat.

Frieda B. und ihre Mutter waren früher fertig mit dem Essen als der Vater mit seinen Töchtern. "Wir haben uns freundlich verabschiedet und das Lokal verlassen", erzählt sie und ergänzt diese Information mit einer Erinnerung: "An der Ausgangstür habe ich mich noch einmal umgedreht und zum Tisch geschaut, während der Vater zu mir blickte und sich unsere Augen trafen. Wieder habe ich gedacht: Diese Traurigkeit trifft mein Herz." Und trotzdem hat sie mit ihrer Mutter an der Seite die Gaststätte verlassen. "Denn wie hätte ich einfach zum dem Mann gehen sollen, was hätte ich sagen oder ihn fragen sollen?" beschreibt sie Jahrzehnte später diesen Augenblick. Doch das Schicksal hat ihr beigestanden und diesen besonderen Augenblick als Ausgangspunkt für das Glück auserkoren, das sie sich so sehr gewünscht hat und unendlich dankbar dafür zu sein. "Denn Tage später habe ich eine Karte in meinem Briefkasten gefunden", erzählt Frieda B., "und darauf hat sich der Vater noch einmal für das schlechte Benehmen seiner Töchter entschuldigt." Und weil er seine Adresse darauf geschrieben hatte, konnte sie ihn aufsuchen und sich dafür bedanken; und sie hat da erfahren, dass seine Frau vor einem halben Jahr gestorben war, die elf- und 13-jährigen Kinder ihre Mutter verloren haben. Beim nächsten Satz hebt Frieda B. ihre Stimme ein wenig an: "Und nicht einmal ein Jahr später haben wir geheiratet", sagt sie und hat damit noch nicht das Ende der Geschichte erreicht. "Wir waren eine glückliche Familie, ich habe nie versucht, den Kindern die Mutter zu ersetzen, weil ich das auch gar nicht geschafft hätte. Aber die Mädchen haben mir vertraut, eine engere Beziehung zwischen Menschen kann es vermutlich gar nicht geben."

Heute lebt Frieda B. allein, ihr Mann ist vor einigen Jahren gestorben, aber die beiden Mädchen von damals halten noch heute einen engen Kontakt mit der Frau, die ihr Vater bis zu seinem Tod geliebt hat, und die mehr als eine beste Freundin für sie war. Und dann ist die 83-Jährige an dem Punkt angelangt, weswegen sie mich angerufen hat: "Auch ich hätte einen Wunsch an die liebe gute Fee, gerade weil ich weiß, dass nur Zauberei mir helfen kann, ihn zu erfüllen", sagt sie und formuliert mit Bedacht: "Ich wünsche mir, dass ich die Geschichte unserer Ehe aufschreiben und als Buch der Welt hinterlassen kann, um allen Menschen davon zu berichten: Ein größeres Glück als solch eine Familie kann dem Menschen gar nicht wiederfahren."

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