Regionale Nachrichten und News mit der Pressekarte
Sie haben kein
gültiges Abo.
Regionale Nachrichten und News
Schließen

Wie die Königin der Nacht bei Mozart

Schon gehört?
Sie können sich Ihre Nachrichten jetzt auch vorlesen lassen. Klicken Sie dazu einfach auf das Play-Symbol in einem beliebigen Artikel oder fügen Sie den Beitrag über das Plus-Symbol Ihrer persönlichen Wiedergabeliste hinzu und hören Sie ihn später an.
Artikel anhören:

Dass ich (bildlich gesprochen) Prügel einstecke für das, was in der Zeitung steht, ist für mich eher Alltag; und dabei geht es eigentlich selten darum, warum oder wie über das Thema berichtet worden ist, das die Anrufer regelrecht in Rage versetzt hat, sondern sie ärgern sich über das, was sie an Fakten und Hintergründen gelesen haben. Anders ausgedrückt: Die Leser schimpfen, sie beschimpfen aber nicht mich; wobei mir wieder mal der Kollege einfällt, der mich immer mal mit "Na, mein Prellbock" begrüßt. Heute war das Dampfablassen mal wieder besonders heftig:

Episode 1: "Diese Verlogenheit k(...) mich an, ich ertrage das einfach nicht mehr, am liebsten würde ich auswandern", ärgerte sich heute ein Leser über den Bericht mit der Überschrift "Mappus ? Politiker im freien Fall". Es geht in dem Artikel darum, dass Staatsanwaltschaft gegen den ehemaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg wegens des Verdachts der Untreue ermittelt. Wenn ich alles richtig eingeordnet habe, regt diesen Leser besonders auf, dass das Handeln eines Politikers kriminalisiert wird, während sich die gesamte politische Spitze in Deutschland mit Julia Timoschenko solidarisiert hat, die seiner Meinung nach sich während ihrer Amtsführung als Ministerpräsidentin der Ukraine im höchsten Grade bereichert habe und dafür zu Recht verurteilt worden sei, um nachher wieder bei der Fußball-EM einen Schmusekurs mit der Regierungsspitze zu fahren; so jedenfalls habe ich diesen Gefühlausbruch des Lesers verstanden. Das war nicht einfach.

Episode 2: Das Vokabular eine anderen Leserin war um ein Vielfaches rabiater und mit noch mehr Schimpfwörtern gespickt, während sie sich laut und in einem Redeschwall von kaum vorstellbarer komprimierter Dichte über einen Leserbrief aufgeregt hat, den sie auf der aktuellen Seite Leserforum gelesen hatte: "Das ist doch der nackte Wahnsinn, so etwas kann man doch nur denken, wenn man nicht bei klarem Verstand ist" lautete einer der Sätze, mit dem sie den Vorschlag, in Ortschaften Tempo 30, auf Landstraßen Tempo 50 und auf Autobahnen Tempo 70 als zulässige Höchstgeschwindigkeit zuzulassen, bedacht hat. Ich habe mich für das Gespräch, das nicht wirklich eins war, bedankt, und wir haben uns freundlich voneinander verabschiedet; ihr Ton war freundlicher, die Anruferin schien sich besser zu fühlen. Ich habe darauf verzichtet, ihr zu erzählen, was ich von diesem Vorschlag des Lesers halte; das hätte ihr nicht gefallen, vermutlich hätte sie mich als "auch so ein Öko-Heini" bezeichnet. Vermutlich hätte ich das sogar als Kompliment verstanden. Hätte ich ihr das sagen sollen, hätte ich mich besser gefühlt? Man weiß es nicht.

Episode 3: Bei dem dritten Ausbruch von unkontrolliertem Ärger habe ich mich gefühlt, wie Wolfgang Amadeus Mozart in dem Film "Amadeus" (ein mit Oscars überschütteten von Milos Forman aus dem Jahr 1984). Denn als der Komponist die Schimpftirade seiner Schwiegermutter über sich ergehen lassen muss, schweifen seine Gedanken ab und werden zu Musik; so entstand (natürlich nur im Film) die Rachearie der Königin der Nacht in seiner "Zauberflöte", die für mich zu der elementarsten Musik zählt, die die menschliche Stimme überhaupt erzeugen kann; aber ich schweife ab, tut mir leid, das passiert mir immer, wenn es um Musik geht. Also: Der Mann am anderen Ende der Leitung hat tatsächlich rund fünf Minuten lang seinen grenzenlosen Ärger über die Energiesparlampen freien Lauf gelassen und diese Leuchtmittel als "größte Vera(...) seit Menschen Gedenken" bezeichnet. Einen aktuellen Anlass für seinen Anruf hatte er nicht; ich habe danach gefragt. Viel interessanter dürfte dies sein: Während dieser fünf Minuten bin ich die Leuchten in meiner Wohnung einzeln durchgegangen, mit dem Ergebnis: Es gibt tatsächlich noch zwei Glühbirnen.

Jetzt mache ich Pause und kauf mir ein Eis; drei Kugeln; Stracciatella, Schoko und Joghurt.

Weitere Blog-Einträge

Icon zum AppStore
Sie lesen gerade auf die zweitbeste Art!
  • Mehr Lesekomfort auch für unterwegs
  • E-Paper und News in einer App
  • Push-Nachrichten über den Tag hinweg
Nein Danke. Weiter in dieser Ansicht.