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Manchmal verstehe ich die Aufregung nicht

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Bei der Einschätzung der Relevanz von Themen oder Anliegen, weswegen Leser mich anrufen, habe ich für mich den Faktor "A  hoch X" eingeführt, um damit besser entscheiden zu können, ob ich die Redaktion darüber informiere, dass es hier einen journalistischen Handlungsbedarf wie beispielsweise weitere Recherchen oder einen ergänzenden zweiten Artikel beziehungsweise eine Korrektur geben könnte . Das A steht für Aufregung, und die Potenz ergibt sich aus der Anzahl der Gespräche, die ich mit Anrufern deswegen geführt habe, und der Mails, die in meinem Postfach gelandet sind. Bei der Entscheidung, ob ein Thema das A überhaupt verdient hat, muss ich mich auf meine subjektive Bewertung des emotionalen Engagements der Leser verlassen. Je energischer und gefühlsbetonter sie ihre Sache vortragen, umso mehr neige ich zu einer A-Klassifizierung. Vielleicht machen diese Beispiele das etwas deutlicher:

Erstes Beispiel: "Sie haben in dem Artikel auf der dritten Seite schon wieder das gleiche und das selbe verwechselt, mich regt dieser Fehler immer wieder auf, und ich möchte Sie bitten, etwas mehr auf der korrekten Gebrauch der deutschen Sprache zu achten", sagte mir eine Leserin und verabschiedete sich gleich wieder. Der Fehler war tatsächlich passiert, die Anruferin - niemand sonst hat deswegen zum Hörer gegriffen - war deswegen auch verärgert, aber sie hat in meiner Einschätzung trotzdem kein A, sondern nur ein P bekommen (passiert nun mal, tut uns leid, wir geben uns der größte Mühe, ich werde die Kollegen darüber informieren).

Zweites Beispiel: "Bei der Übersicht der Ergebnisse ist ihnen bei dem einen Spiel eine Null zu viel reingerutscht, und nun sieht es so aus, als hätte unsere Mannschaft zweistellig verloren", teilte mir ein Fußballfan mit; drei weitere sollten an diesem Vormittag noch folgen, alle waren mehr oder weniger außer sich, das so etwas überhaupt passieren konnte. Doch ein A gab es dafür trotzdem nicht, denn ich konnte alle Leser beruhigen mit der Information, dass das richtige Ergebnis am nächsten Tag in der Zeitung stehen würde. Für dieses Thema gab es nur ein F (falsch ist richtig, eine Korrektur ist erforderlich).

Drittes Beispiel: "Das sieht doch ein Blinder mit dem Krückstock, dass das kein Weizen ist sondern Wintergerste", drückte ein Anrufer seinen Unmut darüber aus, dass er die Überschrift "Truck kippt in Weizenfeld" gelesen hatte und das auf dem Foto abgebildete Getreide eben nicht das war, als was es bezeichnet worden ist. Vier weitere Leser haben mich deswegen angerufen und sich sehr verärgert darüber gezeigt, mit wie wenig Sachverstand die Mitarbeiter der Redaktion doch ausgestattet sein. Dieses Thema bekam von mir das A; verantwortlich dafür war die Tatsache, dass ich bei dem ersten Anrufer noch versucht habe, eine Erklärung an den Mann zu bringen, weil ich die Vermutung geäußert habe, dass nicht viele Menschen Weizen von Wintergerste kennen würden; da war vielleicht was los in der Leitung, bei den anderen Lesern habe ich dann lieber geschwiegen.

Weil ich bei diesen Entscheidungen gerne auf von mir festgelegte Regeln vertraue, muss ich dies noch hinzufügen: Ab einen Faktor von "A hoch 10" klassifiziere ich den Grund der Anrufe oder Mails als echtes Aufregerthema, über das ich die Redaktion informiere, auch dann oder vor allem dann, wenn nichts Falsches in der Zeitung stand und auch deswegen kein echter redaktioneller Handlungsbedarf besteht.

Diese lange Einleitung war erforderlich, weil ich jetzt darüber informiere, dass zu den zwei Aufregerthemen der vergangenen Tage heute ein drittes hinzugekommen ist. Wohlgemerkt: Alle gehen über "A hoch 10" hinaus. Das ist aber nicht der Grund, warum ich heute in meinem Blog darüber schreibe. Dieser ist ein anderer: Ich verstehe die ganze Aufregung nicht. Deshalb will ich es bei der Nennung der Themen bewenden lassen; jeder möge selbst entscheiden, ob er die Aufregung nachvollziehen kann.

Erstes Thema (A hoch 17): In der Zeitung stand: "Alexander Prinz von Sachsen hat einen Mangel an angemessenem Benehmen in Ostdeutschland beklagt. 'Was die Etikette betrifft, könnten die Ostdeutschen einiges dazulernen', sagte der mögliche neue Chef des Herrscherhauses von Sachsen. Vielleicht erkläre sich diese 'ruppige und unfreundliche Umgangsart aus dem jahrzehntelangen Eingesperrtsein hinter Grenzen'. Einmal habe ich es gewagt, einem Anrufer zu sagen: "Kann es uns nicht egal sein, was da irgendein Prinz von sich gibt? Ist das nicht so viel wert wie die Information, dass in China ..."

Zweites Thema (A hoch 11): In dem Bericht über eine Seniorenmesse war am vergangenen Montag dieser Satz zu lesen: "Und die Herrschaften reisen und kaufen: Schließlich liegt das durchschnittliche Einkommen der 55- bis 65-Jährigen mit 2865 Euro netto deutlich über dem Durchschnitt." Bei jedem Anruf habe ich darauf verwiesen, dass diese Zahl stimmt und dem Statistischen Jahrbuch für 2011 zu entnehmen ist. Sieben Leser reagierten darauf mit "ich glaube sie trotzdem nicht". Nur ein einziges Mal habe ich versucht, für Klarheit oder Verständnis zu sorgen, in dem ich die Mitglieder der Vorstandsetagen in den deutschen Wirtschaftsunternehmen und ihr Gehalt (meistens im siebenstelligen Bereich) geschätzt habe und hinzufügte: "Die Zahl in dem Artikel ist doch ein Durchschnitt."

Drittes Thema (A hoch 12): Auf der Titelseite der "Freien Presse" ist heute ein Foto zu sehen, das zeigt, wie bei dem Gewichtheber Matthias Steiner die ganze Last der 196 Kilogramm schweren Hantel auf seinem Nacken landet, während auf dem genauso großen Foto auf der Aufschlagseite des Sportteils zu sehen ist, wie Matthias Steiner unter der Hantel liegt und sein Gesicht schmerzverzerrt ist. Ein Leserin meinte: "Das hat dieser Mann nicht verdient". Ein anderer Anrufer formulierte es so: "Muss man diesem Vorzeigesportler das antun." Nur einmal habe ich es geschafft, das Argument bis zum Ende zu formulieren, dass der Gewichtheber eine Drama durchlebt hat und dass die beiden Fotos dieses Drama auf eine höchst anschauliche Weise zeigen; und zwar mit dem größtmöglichen Respekt  und der Hochachtung gegenüber dem Sportler und dem Menschen Matthias Steiner.

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