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Und ich denke: Was es nicht alles gibt

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Manchmal fasse ich mich während eines Gesprächs an den Kopf (nicht nur sinnbildlich, sondern tatsächlich, weil damit, wenn man den Ellbogen gleichzeitig auf dem Schreibtisch abstützt, eine angenehme Ruheposition die Folge ist, während ich mich allerdings gegen weitere Mutmaßungen über meinen sich dann einstellenden Geisteszustand verwahre) und denke: Das darf doch nicht wahr sein, das ist wirklich passiert, aber eine Story für die Zeitung ist das eher nicht, doch für mich behalten will ich es auch nicht, was mich da in Erstaunen versetzt hat. Also schreib ich hier darüber, in dieser Woche waren es diese drei Gespräche:

Episode 1: "Ich bin Rollstuhlfahrer und wollte mein Auto auf einem Behindertenparkplatz in der Nähe des Eingangs am Einkaufcenter abstellen", erzählte mir ein Anrufer und fuhr fort: "Aber alle Plätze waren besetzt, doch in einem Auto saß ein junger Mann und rauchte. Also habe ich ihn durch das geöffnete Seitenfenster hindurch gefragt, ob er berechtigt sei, dort zu stehen, und ihn gebeten, wenn das nicht der Fall sei, doch wegzufahren, damit ich mein Fahrzeug da abstellen kann." Was dann passierte, fasse ich mal zusammen: Der Mann stieg aus, schrie den Rollstuhlfahrer an und drohte mit körperlicher Gewalt, wenn er nicht sofort verschwinde. Das wollte sich dieser nicht gefallen lassen, fuhr etwa 50 Meter weiter und griff zum Telefon, um die Polizei anzurufen. Dabei sah er, wie sich der Unbekannte wutschnaubend und schnellen Schrittes seinem Fahrzeug näherte; weil er es mit den Angst bekam, fuhr er los, nach Hause und rief von dort die Polizei an. Während er das tat, sah er, dass der junge Mann ihm gefolgt war und vor seinem Haus stand. Zehn Minuten später traf ein Streifenwagen ein, der Unbekannte war natürlich längst weg. Das Kennzeichen des Autos hatte sich der Leser, der mir diese Geschichte erzählt hat, leider nicht gemerkt.

Episode 2: "Ich brauche mal einen Rat, eigentlich mehr Hilfe, ich weiß nicht so richtig, wie ich mich verhalten soll", begann der Leser, mir sein Anliegen zu erläutern, was sich aus folgender Situation heraus für ihn zu einem Problem entwickelt hatte: Am Tag zuvor hatte er einen Anruf erhalten, bei dem sich eine Frau als Mitarbeiterin eines Fernsehsenders vor gestellt hatte, die ihn fragen wollte, ob er sich für ein kurzes Interview zur Verfügung stellen würde. Es gehe um den Jahrestag des Endes der Schlacht von Stalingrad, an der er teilgenommen habe; man plane eine Sendung über dieses Thema. "Woher aber wusste die Frau, dass ich schon so alt bin und dass das mit dem Krieg so stimmt?", fragte mich der Anrufer und drückte damit seine Verwunderung auch über alles weitere aus. Denn die Frau vom Fernsehen wollte gleich am nächsten Tag vorbeischauen, ihren Kameramann gleich mitbringen, man müsse nicht einmal die Wohnung verlassen, nach einer halben Stunde sei schon alles vorbei. Da beschlich dem alten Mann eine Angst: Wenn das Betrüger sind? Wenn die Frau mit mir spricht und der Mann mal aufs Klos muss, in Wirklichkeit aber meine Schränke durchsucht? "Was soll ich tun?" fragte er mich. Seine Sorge teilte ich natürlich, weshalb wir beide gemeinsam diesen Plan schmiedeten: Er ruft eines seiner Kinder an, zusammen warten die beiden dann auf das TV-Team und lassen ganz bestimmt niemanden in die Wohnung, solange nicht ganz sicher ist, nachdem man sich die Namen geben lassen und beim Sender angerufen hatte, dass es keine Betrüger sind. Normalerweise frage ich eher selten nach, wie die Sachen dann ausgegangen sind, aber heute Morgen habe ich, weil ich echt neugierig war, den alten Mann noch einmal angerufen und nachgefragt, wie die Geschichte denn nun ausgegangen sei. Dies hat er mir als erstes gesagt: "Ich komme ins Fernsehen."

Episode 3: Der vierte Anrufer, der mich heute wegen meiner Kolumne "Wenn was faul ist ..." auf der aktuellen Seite Leserforum angerufen hatte, war eine Frau, die mir zu Beginn dies mitteilte: "Manchmal tun Sie mir wirklich leid, weil Sie sich den ganzen Frust der verärgerten Leser anhören müssen." Für dieses Verständnis habe ich mich bedankt, wohlwissend, dass ich vermutlich gleichfalls etwas hören werde, was zu der Kategorie "Sie können sich gar nicht vorstellen, was mir passiert ist" gehört. Doch die Anruferin wollte ihr Anliegen noch etwas vorbereiten und fügte hinzu: "Neben den Erlebnissen mit der Bahn sind doch bestimmt viele Leser, die auch wegen eines Ärgers mit Krankenkassen bei Ihnen anrufen, um einfach mal nur Dampf abzulassen." Auch da habe ich ihr nicht widersprochen, sie führte noch mehr Beispiele auf, weshalb ich mir doch ganz bestimmt gleichfalls häufiger den Unmut von Lesern auf mich niederprasseln lassen musste. In der Aufzählung kamen unter anderem das Finanzamt, Autowerkstätten und die Ordnungsämter von Kommunen vor, die ihre Vollzugsbediensteten zum Verteilen von Knöllchen an die frische Luft schicken. Sage und schreibe fast vier Minuten bereitete die Anruferin mich darauf vor, "dass jetzt auch ich noch anrufe und ihnen auf die Nerven gehen will". Also hielt ich kurz die Luft an, während ich sagte: "Na dann schießen Sie mal los." Das fand sie, wie ich in diesem Moment vermutete, besonders lustig, denn sie konnte sich ein Lachen kaum verkneifen, als sie mir schließlich sagte: "Die Müllabfuhr in unserem Ort klappt ganz prima, es hat noch nie Anlass zu Klagen gegeben, wir können uns hier zu hundert Prozent voll auf das Entsorgungsunternehmen verlassen; immer zuverlässig, immer pünktlich." Für diese höchst unterhaltsame Dramaturgie des Gesprächs habe ich mich bedankt: "Besuchen Sie mich doch mal, dann lade ich Sie auf eine Tasse Kaffee ein."

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