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Beim Essen geht es auch um Verantwortung
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Eigentlich könnte ich mich entspannt zurücklehnen und denken: Was geht mich fremdes Elend an. Denn ich bin Vegetarier und habe, das gestehe ich ohne schlechtes Gewissen, bereits bei den ersten Meldungen über Pferdefleisch in Fertigprodukten den Gedanken "selbst schuld" nicht verdrängen können. Aber ich bin nicht entspannt, das genaue Gegenteil ist der Fall, wie ich heute bei einem Gespräch mit einer Leserin deutlich gemerkt habe, als ich plötzlich in mir ein Gefühl von Wut verspürte und es (in akzeptablen Maße) auch freien Lauf ließ. Dabei hatte die Anruferin mit mir nur über die Kennzeichnungspflicht von Lebensmitteln reden wollen; gar nicht einmal über die Tatsache, dass dem Verbraucher das Fleisch von Pferden regelrecht untergejubelt worden ist und dass niemand weiß, von welcher Qualität dieses tierisches Nahrungsmittel zum Zeitpunkt der Verarbeitung war und wie lange es unter welchen Bedingungen vorher gelagert worden ist. Die Meinung der Leserin: Wo Pferdefleisch drin ist, muss auch Pferdefleisch draufstehen, und das einheitlich in ganz Europa entsprechend den gleichen Standards. So weit, so gut, bis ich nicht mehr anders konnte und diese Frage stellte:
"Sie würden also bedenkenlos eine Fertig-Lasagne kaufen, die weniger als zwei Euro und in einigen Supermärkten nicht einmal 1,30 Euro kostet, wenn auf der Verpackung steht, das kein Pferdefleisch verarbeitet worden ist?", wollte ich von der Frau in der Leitung wissen. "Warum denn nicht?", hörte ich als Antwort diese Gegenfrage. Das war der Augenblick, in dem ich zweimal tief durchatmete, bevor ich erwiderte, was meine Überzeugung ist: "Bei der Herstellung von von Lasagne braucht man Hackfleisch, Teigplatten und Tomatenmark (Anmerkung: Es sei mir verziehen, wenn ich eine Zutat vergessen habe, aber ich kenne mich nicht so gut aus.) Bei dem Fertigprodukt im Supermarkt kommen auf jeden Fall noch Arbeitslohn und Energieaufwand sowie die Kosten für Verpackung, Lagerung und Transport hinzu. Glauben Sie wirklich, dass das alles mit rechten Dingen zugeht, wenn Sie für die Lasagne im Laden weniger als zwei Euro bezahlen?" Einen Moment lang zögerte die Leserin, bevor sie mich fragte: "Wie meinen Sie das?" Also habe ich meinen Monolog, den ich, gebe ich auch gerne zu, schon eine Zeit lang in meinem weltanschaulichen Repertoire habe, fortgesetzt:
"Dieser Preis ist nur möglich, wenn man an allen Stellen mit aller Gewalt spart und das Potenzial an Möglichkeiten dazu bis zum äußersten Rand ausschöpft. Das fängt bei der Qualität der Lebensmittelzutaten wie den Tomaten und dem Fleisch an, geht über die Lagerbedingungen wie Kühltemperatur und Aufbewahrungsdauer weiter und endet dort, wo Menschen fair und gerecht für das bezahlt werden müssten, was sie an Arbeit und Leistung in die Herstellung gesteckt haben, wobei die Arbeitsbedingungen vermutlich noch das größte Spar- und damit Ausbeutungspotenzial beinhalten." Die Anruferin schwieg, ich einige Sekunden auch, bevor ich dann sagte: "Ich habe für mich entschieden, nichts von minderer Qualität und womöglich mit Schadstoffen oder Keimen belastet zu essen und nichts zu kaufen, für dessen Herstellung Menschen ausgebeutet worden sind oder unter gefährlichen oder krank machenden Bedingungen arbeiten mussten."
Von diesem Zeitpunkt an wurde es eine angeregte Unterhaltung, weil die Anruferin es mir nicht übel genommen hat, verbal etwas sehr unmissverständlich direkt geworden zu sein, und weil wir irgendwann feststellten, nachdem sie mir von ihren Einkaufskriterien bei Obst und Gemüse erzählt hatte, dass unsere Standpunkte beim Einkaufen und bei der Ernährung durchaus eine gemeinsame Schnittmenge haben. Und irgendwie haben wir uns hinterher beide besser gefühlt, was wir auch so uns eingestanden haben, und jetzt, da ich hier davon erzählt habe, kann ich mich doch noch entspannt zurücklehnen; es fühlt sich nämlich gut an, darüber geschrieben zu haben.
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