Blog "Leser-Obmann": Gut so: Hinterher fühlt man sich besser

Es kann nur am Wetter liegen; ein anderer Grund fällt mir nicht ein, warum heute zwischen zehn und zwölf von den 17 Lesern, die meine Nummer gewählt hatten, mich sieben nur deshalb angerufen haben, um einmal Dampf abzulassen. Das ist keine Vermutung, ich habe alle darauf angesprochen, weil die Frage "Was kann ich in dieser Sache jetzt für Sie tun?" für mich obligatorisch ist, wenn ich versuche, einen emotional aufgeladenen Redeschwall zu unterbrechen; und immer, wenn ich keine Antwort bekomme, ging es den Lesern nur ums Reden. An dieser Stelle jedoch bekommt jeder Anrufer nur wenige Zeilen, aber das reicht:

Episode 1: "Das kann doch wohl nicht wahr sein, ich habe gestern einen für mich extrem wichtigen Arzttermin verpasst, weil in Chemnitz wegen des Streiks die Busse nicht gefahren sind", berichtete mir eine Leserin und brachte weitere zweieinhalb Minuten ununterbrochen ihre Meinung zu diesem "rücksichtslosen Verhalten" zum Ausdruck.

Episode 2: "Seit Jahren kaufe ich im Supermarkt immer die teuersten Eier, weil ich gedacht habe, damit auf der sicheren Seite zu sein, und nun das, ich könnte vor Wut ...", kommentierte ein Leser den Skandal wegen falsch deklarierte Bio-Eier und brachte seine Enttäuschung mit einer Schimpftirade über die Politiker mehr als deutlich zum Ausdruck.

Episode 3: "Vor  drei Monaten erst bin ich in diese Wohnung eingezogen, und nun habe ich hinter einer Verkleidung im Badezimmer entdeckt, dass es schimmelt, und mein Vermieter meint, ich hätte nicht richtig gelüftet, meine Galle kann sich gar nicht mehr beruhigen", meinte eine Leserin, die keinen Rat wollte, sondern nur diese Unverschämtheit loswerden musste bei jemanden, "der einem auch mal zuhört".

Episode 4: "Eigentlich regt mich das schon lange auf, nun aber will ich mir mal Luftverschaffen, weil ich gerade Ihr Gesicht in der Zeitung gesehen habe. Meine Frage: Warum um Himmelswillen listen Sie in Ihrem Wetterbericht die Temperaturen von gestern auf? Ich fühle mich da irgendwie versch...", wollte ein Leser von mir wissen, der mir aber nicht glauben wollte, dass diese Werte von elf Städten in Sachsen für echte Fans der Meteorologie wertvolle Angaben sind.

Episode 5: "Immer wenn Sie am Ende eines Berichts darauf verweisen, wie gestern in dem Artikel über die Oscar-Verleihung, dass es die vollständigen Informationen im Internet gibt, rege ich mich mörderisch darüber auf, weil ich ganz bewusst auf alles verzichte, was mit Computer zu tun hat", erklärte mir eine Leserin, die mit mir auch nicht über dieses Thema diskutieren wollte; es gehe ihr ums Prinzip, sie erwarte von einer Zeitung, vollständig informiert zu werden.

Episode 6: "Was nützen einem die besten Informationen auf der Packung von Lebensmitteln, wenn man sie nicht einmal mit der Lupe entziffern kann", sagte eine Leserin und fügte hinzu: "Mal ganz abgesehen davon, dass man das meiste sowieso nicht versteht, weil es lauter Abkürzungen und Fremdwörter sind."

Episode 7: "Das darf doch wohl nicht wahr sein, dass die ganzen Lebensmittel, in denen man jetzt Pferdefleisch entdeckt hat, einfach vernichtet werden angesichts der Millionen Menschen auf der Welt, die an Hunger leiden", teilte mir eine Anruferin mit und meinte, weil man die Packungen mit Fertiglasagne ja nicht einfach in andere Länder verschicken könne, dass man sie hier in Deutschland doch zum halben Preise verkaufen könnte.

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