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Zwei Zahlen möchte ich heute mal zur Diskussion stellen, weil sie mir in jüngster Zeit viel Kopfzerbrechen bereitet haben; sie waren in zwei unterschiedlichen Artikeln in der Zeitung zu lesen, und obwohl beide Angaben richtig waren, was sich mithilfe der verlässlichen Quellen eher leicht bestätigen lässt, hagelte es Protestanrufe von Lesern, die sich bei mir beschweren wollten. Und immer lief es auf die gleiche Frage hinaus, die ich stellte und doch nicht stellen durfte: Warum kann die Wahrheit falsch sein, nur weil man sie offen ausspricht? Bevor es in Bereiche der Existenzphilosophie abgleitet, was nicht eigentlich nicht einmal bedauern würde, zunächst mal die beiden Sätze:

Erstens: "Demnach ist ein Alleinstehender bedürftig, wenn die Summe des zu versteuernden Einkommens, ? neben Lohn zählen alle anderen Einkünfte ? 1725 Euro nicht überschreitet", hieß es vor einigen Wochen mit Bezug auf einen aus Durchschnittswerten aller Mitgliedsstaaten resultierenden EU-Richtwert in einem Artikel über die Tafeln in Sachsen mit der Nachricht, dass rund 100.000 Menschen wöchentlich diese Einrichtungen besuchen.

Zweitens: "2497 Euro brutto verdienen sächsische Frauen in Vollzeitbeschäftigung durchschnittlich", hieß es am vergangenen Freitag in einem Artikel auf der Seite Sachsen, der sich als eine Bestandsaufnahme verstand darüber, was die Statistik im Freistaat eigentlich über die Frauen aussagt.

Zum einen waren die Anrufer sich zunächst alle einig, dass diese Zahlen angesichts der Höhe der Beträge niemals stimmen könnten, weil dort, wo sie leben und arbeiten, niemand so viel Geld verdient oder zur Verfügung hat und demzufolge alle anderen, von denen die meisten eher noch weniger als der zurzeit diskutierte Mindestlohn in der Lohntüte haben, als arm eingestuft werden müssten; auch wenn ich ganz Berufszweige wie den Öffentlichen Dienst oder den Autobau als Beispiele genannt und mit Beschäftigtenzahlen unterlegt hatte, waren die Leser meistens nicht von ihrem Standpunkt abzubringen. Zum anderen verlangten die Anrufer immer von der Zeitung, dass man diese Zahlen niemals unkommentiert veröffentlichen dürfte, weil sonst falsche Eindrücke entstehen würden; dass "Freie Presse" das Zustandekommen solcher Statistiken schon mehrfach erläutert hatte, ließen sie als Gegenargument nicht gelten, niemand würde sich daran erinnern können. Unter Strich blieben ausnahmslos alle bei der Grundkritik: Das Benennen dieser Wahrheit kann beziehungsweise darf nicht richtig sein.

Und wenn ich dann noch (nahezu bei jedem zweiten Gespräch die Spruch "Traue keiner Statistik, die Du nicht selber gefälscht hast" gehört habe, dessen Urheber übrigens nicht Winston Churchill war, dann war ich manchmal der Verzweiflung nahe: Liege ich so falsch mit meiner Einschätzung, dass ein Mittelwert eben ein Mittelwert ist und nichts mehr als eben das aussagt? Zu der zweiten Frage machte ich mir jedes Mal noch mehr Gedanken: Warum fühlen sich die Menschen von einem bloßen Durchschnittswert persönlich so angegriffen, dass sie regelrecht wütend geworden sind? Ich weiß es nicht, aber ich würde es gerne erfahren.

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