Blog "Leser-Obmann": Was so ist und doch nicht wahr sein darf

Manchmal wollen Leser, obwohl ihnen nicht zum Lachen zumute ist, komisch sein und das Gespräch mit mir, was eigentlich aus ihrer Sicht zur Milderung ihres angestauten Ärgers dienen soll, mit einer lustigen Eröffnung beginnen; meistens geht die Rechnung jedoch nicht auf: "Darf ich Ihnen mal einen Witz erzählen", sagte ein Anrufer und erklärte mir, dass er wegen des Artikels "Regierung beschließt deutliche Rentenerhöhung" bei mir angerufen habe; er durfte.

"Bei einer Rente von 1000 Euro bedeutet diese Erhöhung ein Plus von 32.90 Euro, und das ist angesichts der vielen Verteuerungen, die uns zugemutet werden, doch wohl echt zum Lachen, oder nicht?", fragte er mich und schwieg. Das war also sein Witz: Rentner im Osten mit einem Ruhegeld von 1000 Euro kriegen ab Juli dieses Jahres 32.90 Euro mehr im Monat. Mittlerweile hatte ich mir aber diese Meldung auf den Schirm geholt und überflogen, weshalb ich erwiderte: "Jetzt erzähle ich ihnen mal einen Witz: In den alten Bundesländern bekommt ein Ruheständler mit einer Rente von 1000 Euro ab Juli sage und schreibe 2,50 Euro mehr." Der Mann in der Leitung schwieg einen Augenblick, bevor er sagte: "Das ist doch was ganz anderes, das kann man doch nicht miteinander vergleichen."

Obwohl ich es hätte dabei bewenden lassen und mich für den Anruf einfach hätte bedanken können, wollte ich genau das diesmal nicht; ich weiß nicht wirklich warum, vielleicht war ich am Morgen mit dem falschen Fuß aufgestanden, aber ich fühlte mich plötzlich herausgefordert: "Warum kann man das nicht vergleichen?" fragte ich den Leser und bekam zur Antwort: "Die Rentner im Westen haben doch viel höhere Bezüge als wir, das ist doch ein ganz anderes Niveau, wir sind hier doch meilenweit davon entfernt, von solchen Renten können wir doch nur träumen."

Diese Diskussion kenne ich, ich führe sie mit Lesern regelmäßig immer dann, wenn es in einem Artikel um die Rentenpolitik der Bundesregierung geht, und eigentlich habe ich großes Verständnis dafür, dass die Menschen hier im Osten sauer sind, weil sie für die gleiche Arbeit weniger Rentenpunkte bekommen, und dass die völlige Anpassung der Ost- an das Niveau der West-Renten noch in den Sternen steht und die Senioren hier wohl noch lange darauf warten müssen. Bei diesem Anrufer aber war das anders, ich wollte die Diskussion, mich vielleicht sogar streiten: "1000 Euro sind 1000 Euro, und 3,29 Prozent davon sind mehr als zehnmal so viel wie 0,25 Prozent. Und wenn ich ein Rentner im Westen wäre, würde ich, wenn das nicht so traurig und so gar nicht komisch wäre, darüber lachen können."

Der Anrufer wagte einen weiteren Versuch und veränderte sein Argument leicht: "Aber im Westen gibt es viel mehr Menschen mit einer höheren Rente, was bedeutet, dass sie bei einer Erhöhung um 0,25 Prozent im Verhältnis zu uns im Osten mehr Geld bekommen, weil die absolute Summen einfach viel häufiger höher liegen; das leuchtet doch ein, oder nicht?" Nun musste ich einen Moment schweigen, um keinen Drehwurm im Gehirn zu kriegen, aber dann war ich mir doch sicher und sagte: "Ganz und gar nicht, denn bei einer identischen Rentenhöhe (beispielsweise von 1000 Euro) bekommt der - ich betone - einzelner Rentner im Osten mehr als zehnmal so viel mehr als der Rentner im Westen. Die Ruheständler hier im Osten sollte sich freuen, dass es so ist, finden Sie nicht auch?"

Das Schlusswort des Gesprächs überließ ich dem Leser: "Sie können mich nicht verstehen, vielleicht wollen Sie es aber auch nicht", sagte er, verabschiedete sich und legte auf. Ich war mir jedoch sicher, ganz genau hatte ich den Mann verstanden: Die Rentner im Osten haben es in diesem einen ganz konkreten Fall mal besser getroffen als die im Westen; und das wollte er offensichtlich nicht wahrhaben, warum auch immer.

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