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Am Ende ist alles gesagt und wenig erreicht

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Mit Schätzungen bin ich für gewöhnlich eher vorsichtig, doch diesmal möchte ich eine wagen: Bei etwa einem Drittel aller Gespräche mit Lesern am Telefon lege ich am Ende auf mit dem sicheren Wissen, dass es dem Anrufer nicht besser geht als vor der Unterhaltung mit mir, weil er sein primäres Ziel nicht erreicht hat und weder ich ihm die gewünschte Information geben konnte, noch der Missstand, weswegen er meine Nummer gewählt hatte, auch nur ansatzweise beseitigt werden kann. Obwohl dieses Phänomen demnach bei mir zur Routine gehört, möchte ich, obwohl ich mich damit der Gefahr des Vorwurfs der Langeweile aussetze, jetzt mal nur die Gespräche dieser Art seit Montag als Beispiel anführen.

Episode 1: "Es geht mir um die Beamtenbeleidigung", sagte eine Leserin und durfte nicht weitsprechen, weil ich sie unterbrach: "Verbindliche Rechtsauskünfte erteilen wir aber keine", sagte ich vorschnell, denn der Frau in der Leitung ging es um ein ganz anderes Problem: Sie habe diesen Begriff kürzlich in der Zeitung gelesen, wobei sie mir nicht den Tag, erst recht nicht den Artikel nennen konnte und sie sich, weil ich danach fragte, auch nicht sicher war, ob es tatsächlich in der "Freien Presse" gestanden hat, und wollte nun von mir wissen: "Kaum jemand im Rathaus ihrer Stadt sei verbeamtet, demnach auch die Vollzugsbediensteten des Ordnungsamts nicht: Begeht man trotzdem den Tatbestand der Beamtenbeleidigung, wenn man den Knöllchenverteilern mit deutlichen Worten sagt, was man von ihnen hält?" Zwei Minuten später konnte ich der Anruferin dank des Eintrags bei Wikipedia sagen, dass es die Beamtenbeleidigung als Tatbestand in Deutschland gar nicht gibt; nur die Beleidigung (egal von wem) kann strafrechtlichen Konsequenzen haben. "Aber warum stand dann dieses Wort in der Zeitung?", fragte mich die Frau. Mit einer Antwort auf diese Frage konnte ich nicht dienen.

Episode 2: "Es sind mir eindeutig zu viele Sexszenen im Fernsehen, können Sie darüber vielleicht mal einen Bericht in die Zeitung setzen? Vielleicht ändert sich dann was ...", beklagte sich ein Leser bei mir. Meine erste Reaktion darauf hat den Mann etwas verwirrt: "Tut mir leid, da kenne ich mich gar nicht aus, das muss ich dann an die für das Fernsehen zuständige Fachredaktion weiterleiten", sagte ich, was den Anrufer dazu bewog, mir diese Frage zu stellen: "Sie wissen nicht, was Sexszenen sind?" Dass ich ganz ohne Fernsehgerät auskommen, wollte er mir zunächst nicht glauben, und auf eine Diskussion, was an Sexszenen so schlecht oder verwerflich sei, wollte er sich gar nicht erst einlassen, denn zum Ende des Gesprächs sagte er: "Recherchieren Sie einfach, dann werden wir sehen, was dabei rauskommt, und am Ende werden Sie mir zustimmen müssen." Dass ich das ganz bestimmt nicht tun werde, habe ich ihm nicht gesagt; ich habe nichts gegen Sexszenen, im Fernsehen oder sonst wo.

Episode 3: "Ich habe kürzlich im Autoradio ein Interview gehört, in dem es um den Prozess gegen den Jugendpfarrer König in Dresden ging", leitete ein Leser das Gespräch ein, konnte mir aber weder den Sender noch den Namen des Interviewten sagen, und fügte hinzu: "Und da habe ich ein Wort gehört, mit dem ich nichts anfangen kann, weshalb ich Sie bitten möchte, es mir zu erklären. Es geht um die Anwesenheitsverbotspflicht." Nun hatte ich dieses Wort auch noch nie gehört, die Suchmaschine im Netz brachte mir nicht ein einzigen Treffer, weshalb ich die Frage wagte: "Sind Sie ganz sicher, dass Sie sich nicht verhört haben?" Der Mann war sich sicher, also wollte ich mir Mühe geben, ihm eine verständliche und deshalb ihn zufriedenstellende Antwort zu geben. Diese Idee kam mir: Ich zerlegte das Wortungetüm in seine drei Einzelteile und versuchte eine nachvollziehbare Verbindung zwischen ihnen herzustellen. Also sagte ich: "Ich denke mal, es geht um die Pflicht, sich an das Verbot zu halten, sich an einem bestimmten Ort nicht aufzuhalten, anders ausgedrückt: Da darf ich nicht hin, das ist jenseits der Bannmeile." Der Anrufer schwieg einige Sekunden, bevor er mich fragte: "Sind Sie sicher, dass es darum geht?" Natürlich nicht, sagte ich und gab ihm zu verstehen, dass ich die Anwesenheitsverbotspflicht weiter im Auge behalten werde; damit einigermaßen zufrieden legte er auf.

Episode 4: Das letzte Beispiel (für heute) hat es sogar in meine Hitliste  der "Haarspaltereien" geschafft, und das bedeutet: Der Leser war am Ende gar nicht zufrieden mit dem Ergebnis des Gesprächs, während ich nahe an die Grenze meiner Geduld kam und fast schon die Reißleine ("Das zweite Telefon klingelt, ich muss da mal rangehen") gezogen hätte. Ich stelle die beiden Positionen einfach mal nebeneinander. Der Anrufer meinte: "In dem Bericht über die Rede der Bundeskanzlerin zum Schutz der Umwelt heißt es, dass Angela Merkel wieder mal China als den größten Klimasünder bezeichnet hat, was aber meiner Meinung nach das Bild völlig verfälscht, denn die Emissionen runtergerechnet auf pro Kopf der Bevölkerung ist die USA ein viel größerer Umweltsünder." Ich habe gesagt: "Das ist doch völlig egal, wer hier besser oder schlechter dasteht und ob man die Gesamtmenge an Schadstoffen in einem Land oder deren Verteilung auf die Zahl der Einwohner als Maßstab nimmt. Entscheidend ist: Wenn beide Länder nicht bald etwas tun, dürfte es um den Klimaschutz künftig weiter schlecht bestellt sein." Ein Weile haben wir noch diskutiert, uns angenähert haben wir nicht, nur in einem Punkt war ich mir sicher: Dieser Leser kann die USA gar nicht gut leiden.

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