Sie können sich Ihre Nachrichten jetzt auch vorlesen lassen. Klicken Sie dazu einfach auf das Play-Symbol in einem beliebigen Artikel oder fügen Sie den Beitrag über das Plus-Symbol Ihrer persönlichen Wiedergabeliste hinzu und hören Sie ihn später an.
Keine große, eine bewegende Geschichte
Sie können sich Ihre Nachrichten jetzt auch vorlesen lassen. Klicken Sie dazu einfach auf das Play-Symbol in einem beliebigen Artikel oder fügen Sie den Beitrag über das Plus-Symbol Ihrer persönlichen Wiedergabeliste hinzu und hören Sie ihn später an.
Ein Sommertag, wie man ihn sich wünscht; nicht zu heiß, die Spuren des Regens vom Vormittag sind noch deutlich zu erkennen, denn die Krumen auf den Beeten haben dieses gewisse Muster, das Wassertropfen erzeugen, wenn sie auf Erde treffen, und weil nur eine ganz leichte Brise weht, sieht man der Natur noch eindrucksvoll an, dass das Wasser aus des Himmels Schleusen ihr gut getan hat; ohnehin grünt alles im Garten, wie man es sich satter kaum vorzustellen vermag, während von der Blütenpracht unter den Obstbäumen und entlang der Hecke nur noch vereinzelte helle Farbtupfer zeugen. Gertrud S. hat sich ins Gras gesetzt, die Hände auf die Knie gelegt und den gesenkten Kopf auf dem rechten Arm gelegt. Ihre Augen sind geschlossen, aber sie träumt nicht, ihre Gesichtszüge sind alles andere als entspannt, und man könnte meinen, wenn man sie da hocken sieht, dass sie von der einen zur nächsten Sekunde aufspringen und davonlaufen könnte. Ganz eindeutig: Die Frau ist aufgeregt, ihre Körperspannung signalisiert eine Nervosität, die ansteckend wirkt, je länger man sie beobachtet. Dieses Bild passt nicht in die Idylle, irgendetwas wirkt befremdlich, nicht beängstigend, aber auch nicht gerade beruhigend. Dieses Gefühl, dieses Bild drängt sich auf: Spannung liegt in der Luft, man möchte sie greifen, so deutlich spürt man sie.
Gertud S. ist in den Garten geflüchtet, weil sie es im Haus nicht mehr ausgehalten hat; sie ist im siebten Monat schwanger und weiß nicht, wie sich die große Aufregung auf das ungeborene Kind auswirken könnte; sie möchte sich und das Baby schonen, weshalb sie das Wohnzimmer, wo die ganze Familie versammelt ist, verlassen hat; der Vater und die beiden Brüder haben das vermutlich nicht einmal mitbekommen, weil sie wie gebannt dieser metallischen Stimme lauschen, die sie Zeit ihres Lebens nie wieder vergessen werden, denn dies sind Minuten, wie sie das Leben für Menschen nicht allzu oft zu bieten hat. Nach den vielen Jahren der Angst und der großen Entbehrungen gibt es zum ersten Mal wieder etwas, dass sich wie Hoffnung anfühlt und bis in die Seele vordringt, die vom Leid der vergangenen Jahren viele Narben zurückbehalten hat und nur zu gern daran glauben möchte, dass jetzt eine bessere Zeit anbricht. Gertrud S. lächelt, weil ihr in diesem Augenblick bewusst wird, dass auch ihr Mann ihr nicht in den Garten gefolgt ist, sondern weiterhin mit den Anderen vor dem Radio hockt und wartet, bis diese quälenden Minuten der Ungewissheit endlich vorbei sind. Sie kann die Stimme des Kommentators zwar hören, verstehen aber kann sie nichts, weil jedes Wort von den Männern im Wohnzimmer mit einer Bemerkung bedacht wird, die für Gertrud S. erst recht unverständlich bleiben, weil sie mehr einem Schreien gleichen, das als Ventil dient, denn die Spannung ist kaum noch zu ertragen. Sie steht auf, geht ein paar Schritte und lehnt sich mit der Schulter an den Stamm ihres Lieblingsbaums, auf dessen süßen Kirschen sie sich auch dieses Jahr wieder besonders freut; gerade in diesem Moment erinnert sie sich daran, wie sie als Kind immer die Kerne zwischen zwei Finger genommen und diese dann fest zusammengedrückt hat, damit ... Plötzlich hebt sie ihren Kopf und schaut in Richtung des Hauses; sie hört die Stimmen der Männer viel intensiver; sie reden nicht, sie schreien nicht, es sind keine Wörter, es ist ein großer Schwall von Lauten, wie ihn nur ein Jubel hervorbringen kann, der keine Grenzen kennt, weil das Leben in diesem Moment pures Glück für die Menschen breithält, die daran nicht mehr zu glauben gewagt hatten. Gertrude S. sieht, wie ihr Mann aus dem Haus kommt, seine Blicke suchen sie, finden sie, er rennt auf sie zu, nimmt sie in die Arme und sagt, es ist nur ein Flüstern: "Wir sind Weltmeister."
Ende
Mehr als 30 Leserinnen und Leser haben mich in den vergangenen zwei Wochen angerufen, um mir von ihren Erinnerungen zu berichten; es ging dabei um die Ereignisse am 17. Juni 1953, als der Volksaufstand in der DDR ein blutiges Ende fand, und um den Sommer 1968, als Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei einmarschierten und nicht weniger gewaltsam den Prager Frühling beendeten. Auch Gertrud S. (Name geändert) hat mich angerufen, weil sie mir von einem besonderen Erlebnis aus ihrer Vergangenheit erzählen wollte. "Als ich den Artikel gelesen habe, musste ich weinen, und ich konnte gar nicht mehr aufhören, so sehr sind mir die Tränen gekommen", erzählte sie mir davon, wie sie am Montag in dem Artikel "Tiefe Trauer um einen Helden von Bern" die Nachricht gelesen hat, dass Ottmar Walter gestorben ist. "Alle waren sie Helden für uns", sagte sie, "aber der Ottmar war mein ganz persönlicher." Dann hat sie mir von diesem Spätnachmittag des 4. Juli 1954 erzählt und zum Schluss gesagt: "Es ist keine große, aber es ist eine der wichtigsten Geschichten in meinem Leben." Ganz zum Schluss habe ich Gertrud S. gefragt: "Darf ich sie aufschreiben?"
Weitere Blog-Einträge
- Was das Auge so alles lesen will (18.01.2022)
- Neues von Bill Gates und: Es riecht so komisch (17.01.2022)
- Von der einen oder anderen Botschaft (10.12.2021)
- Die Herdplatte ist heiß - oder nicht? (09.12.2021)
- Von Lügen und Blähungen (03.12.2021)
- Die Wahrheit, nichts als die ... (01.12.2021)
- Nicht heiß, der Preis ist schwarz (26.11.2021)
- Hallo? Häkelt da noch jemand? (24.11.2021)
- Der eine rast und der andere ist kein Papst (23.11.2021)
- Und dann noch etwas gegen Aufpreis (22.11.2021)
- Was uns von den Bayern unterscheidet (19.11.2021)
- Im Keller darf gelacht werden (15.11.2021)
- Im Keller darf gelacht werden (15.11.2021)
- Meine Meinung dazu: Halleluja (11.11.2021)
- Wenn ich nicht mehr folgen kann ... (10.11.2021)
- Manchmal gruselt es mich schon (09.11.2021)
- Schwierige Zeiten - mehr Schokolade (05.11.2021)
- Nur nicht wundern, sondern staunen (04.11.2021)
- Hallo, noch da? (03.11.2021)
- Von Witzen und Widerständen (29.10.2021)
- Ist aus Leder und hält warm (28.10.2021)
- Diese Worte zum Abschied (26.10.2021)
- Weihnachten – früher war mehr ... (25.10.2021)
- Die Sache mit den Bananen (22.10.2021)
- Ein Schalter und das Einmaleins (21.10.2021)
- Ein falscher Prophet (20.10.2021)
- In Demut üben wohl eher nicht (19.10.2021)
- Das ist Kunst, das muss bleiben (18.10.2021)
- Huddelei midm Nischel - echt jetzt? (15.10.2021)
- Sarkasmus? Bei mir nicht ... (14.10.2021)
- Das im Dunkeln weiß man nicht (13.10.2021)
- Nein, den Bescheid will ich nicht (01.10.2021)
- Nur ein Name - oder doch mehr? (30.09.2021)
- Irgendwie in der Geschichte verlaufen (29.09.2021)
- Dreimal drei Meinungen erhalten (28.09.2021)
- So schwierig ist das doch nicht, oder? (24.09.2021)
- Endlich, ich darf die Wörter schreiben (23.09.2021)
- Investigativ recherchieren, was sonst? (22.09.2021)
- Alle drei Tage eine Tafel? Kein Problem (21.09.2021)
- Und langweilig sowieso nicht (17.09.2021)
- Ohne Oma bitte auch kein Opa (16.09.2021)
- Mir der Hand unter den Gummi fahren (14.09.2021)
- Semmel jetzt fünf Cents teuerer (13.09.2021)
- Von Fragen zu Fragen und Antworten (10.09.2021)
- Und welche Partei wählen Sie? (09.09.2021)
- Ganz schön kompliziert - oder nicht? (08.09.2021)
- Das Dilemma mit der rechten Seite (06.09.2021)
- Eher heiter als gelassen (03.09.2021)
- Der aus dem Jenseits spricht (02.09.2021)
- Sorry, Gehirn auf Durchzug gestellt (01.09.2021)
- Mit der neuen 4G-Regel (31.08.2021)
- Echt jetzt: Er ist wieder da (30.08.2021)
- Wenn die Erde ein Baum wäre (27.08.2021)
- Meine lieben Brüder und ... (26.08.2021)
- Es war dann soweit: Witz komm raus ... (25.08.2021)
- Also ich kann die Schweiz verstehen (24.08.2021)
- Platte? Kein Problem damit (23.08.2021)
- Sprachlos, das war's in dieser Woche (20.08.2021)
- Selbst Jesus wird zitiert (18.08.2021)
- Komisch? Nicht wirklich ... (17.08.2021)
- Hallo, ist da oben jemand? (16.08.2021)
- Da kann man sich nur fragen ... (13.08.2021)
- Wenn mein Faden mal reißt ... (12.08.2021)
- Fehlt nur noch der Heiligenschein (11.08.2021)
- Heute komisch - aber damals? (10.08.2021)
- Warum nicht gleich ein Ausweis? (09.08.2021)
- Nun denn, wer lesen kann ... (06.08.2021)
- Hallo? Er ist wieder da ... (05.08.2021)
- Eine andere Wahl, es gibt sie ... (24.11.2020)
- Satan und die armen Seelen (23.11.2020)
- Er ist, was er isst, aber nicht sein will (20.11.2020)
- Warum nicht gleich ins Knie schießen? (19.11.2020)
- Aus der Krise in eine bessere Welt (16.11.2020)
- Demo und Impfen, aber keine Reißleine (13.11.2020)
- Aufreger des Tages: Es sind die ... (12.11.2020)
- Mit der Prügel so eine Sache ... (11.11.2020)
- Wichtige Frage: Wirklich zu laut? (10.11.2020)
- Diese Aufregung, ich bitte um Nachsicht (09.11.2020)
- Fremde Kicker und üble Winde (06.11.2020)
- Erst Wunderland, jetzt abgebrannt (04.11.2020)
- Fortpflanzung macht Spaß (03.11.2020)
- Nicht mehr viel Zeit, deshalb ... (02.11.2020)
- Dieses Thema, das andere und dann ... (30.10.2020)
- Der Tod ist nicht verantwortlich (28.10.2020)
- Mein Problem: Wie macht der Frosch? (27.10.2020)
- Drei Fragen und keine Antwort (26.10.2020)
- Mein Problem mit dem "Wissense" (23.10.2020)
- Ob ich Spaß habe? Das weiß ich nicht ... (22.10.2020)
- Die Eröffnung ist eine weiche (21.10.2020)
- Eins, zwei, drei ... echt jetzt? (20.10.2020)
- In schwierigen Zeiten erst recht (19.10.2020)
- Was ist heutzutage noch normal? (16.10.2020)
- Von Fehlern und Sichtweisen (15.10.2020)
- Wenn schlechte Nachrichten gute sind (14.10.2020)
- Nur Flügel habe ich keine ... (13.10.2020)
- Schön langsam, ich muss das verstehen (12.10.2020)
- Die richtige Richtung - aber welche? (09.10.2020)
- Da ist ein Loch, da noch eins und da ... (08.10.2020)
- Klare Sache: besser gesund bleiben (07.10.2020)
- Da oben fliegt was - völlig losgelöst? (06.10.2020)
- Mehr Lesekomfort auch für unterwegs
- E-Paper und News in einer App
- Push-Nachrichten über den Tag hinweg