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Frage: Schneller denken oder sprechen?
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Vor meinem Wochenrückblick mit den kleinen, deshalb aber nicht zwingend unscheinbaren Randnotizen zu meinen Gesprächen mit Lesern seit Montag möchte ich diese Nachricht loswerden: Es zeichnet sich ein neuer Rekord bei der Zahl der Zeilen in Leserbriefen zu einem Thema ab. Und zwar wird es Kurt Biedenkopf mit seinem Artikel "Wir erwarten zu viel vom Staat" innerhalb der Reihe "Einspruch" voraussichtlich schaffen, dass dazu Reaktionen bei mir eingehen, die - wenn man sie ungekürzt und unbearbeitet drucken würde - die bislang noch nicht geknackte Marke von 1000 Zeitungszeilen übertreffen wird (Zum Vergleich: Eine Seite in der "Freien Presse" ohne Fotos und Überschriften hat rund 800 Zeilen). Wichtig dazu ist auch diese Information: Die Zahl der Leserbriefe zu diesem Thema wird nämlich hinter denen liegen, die ich damals beim Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg als Verteidigungsminister (Platz eins) und zu Berichten über das Buch "Deutschland schafft sich ab" von Thilo Sarrazin (Platz zwei) verzeichnen konnte. Der Unterschied: Diese Briefe zum Beitrag des ehemaligen Ministerpräsidenten sind schätzungsweise im Durchschnitt fünfmal so lang und enthalten so gut wie keine Zeilen, die man nicht veröffentlichen dürfte, weil sie sich im Ton vergreifen. Was in dieser Woche noch passierte:
Episode 1: "Ich rege mich furchtbar darüber auf, dass bei den Morgenmagazinen von ARD und ZDF die Untertitel für Gehörlose, die man jetzt mitlaufen lassen kann, in einem extrem schlechten Deutsch geschrieben sind und dass niemand von den Sendeanstalten das merkt und etwas dagegen tut", sagte eine Leserin und meinte: "Kann die Zeitung da nicht mal nachhaken?" Nun habe ich mich, weil das für gewöhnlich eher irritiert, nicht als Mensch geoutet, der ohne Fernsehgerät lebt, sondern es mit einer Gegenfrage versucht: "Sind das nicht Livesendungen und dürfte es deshalb nicht ein Computer mit Spracherkennung sein, der für die Simultanübersetzung zuständig ist?" Damit hatte ich den Nerv der Frau getroffen, denn sie erwiderte: "Das ist es doch, was ich meine, denn die Maschine kennt offenbar den Unterschied zwischen Groß- und Kleinschreibung nicht, von der korrekten Rechtschreibung mal ganz zu schweigen. Am meisten stören mich aber die inhaltlichen Entstellungen." Ich frage die Anruferin, ob sie mir ein Beispiel nennen können; sie konnte: "Gesagt wurde das Wort Country-Star, geschrieben stand da Kant nicht da." Wo sie recht hat, hat sie recht, die Frau in der Leitung, das habe ich auch gesagt und ihr zugesagt, dieses Thema an die Redaktion weiterzugeben.
Episode 2: Mehrere Leser haben mich angerufen, weil sie meine Kolumne auf der Seite Leserforum gelesen hatten und mir nun Redewendungen nennen wollten, deren Inhalt, wenn man ihn logisch betrachtet, falsch ist, die aber trotzdem gebräuchlich sind, weil jeder weiß, was gemeint ist, wenn er sie hört. In meinem internen Ranking belegte diese den ersten Platz: "Jeden Morgen gieße ich mir einen Tee auf und stelle den Kurzzeitmesser, damit er nicht zu lange zieht, aber weil ich nicht in der Küche warten möchte, setzt ich mich schon mal mit der Zeitung an den Wohnzimmertisch", erzählte mir ein Anrufer und fuhrt fort: "Häufig höre ich dann später meine Frau rufen: Dein Tee hat geklingelt."
Episode 3: "Sie sprechen ja schneller, als man reden kann", teilte mir eine Leserin mit und bat mich, etwas lauter und vor allem etwas langsamer zu sprechen, denn: "Ich bin etwas schwerhörig, aber versuche, beim Telefonieren ohne Hörgerät auszukommen." Ich gab mir deshalb Mühe, meinen Redefluss dementsprechend anzupassen; in dem Gespräch ging es übrigens darum, dass die Frau sich mit mir darüber unterhalten wollte, wie man sich verhalten soll, wenn man eine ältere Person in der Öffentlichkeit antrifft und sich fragt, ob es sich möglicherweise um eine verwirrte Person handelt, die Hilfe braucht. Während dieser zehn Minuten hatte ich ununterbrochen das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, aber es wollte sich nicht bis in die äußeren Schichten meiner Gehirnwindungen durchkämpfen. Dann hatte ich mich verabschiedet und den Hörer aufgelegt, als mich die Erkenntnis traf: Schneller sprechen, als man reden kann, ist unmöglich; ich habe es versucht, minutenlang und auch mit dem Satz "Blaukraut bleibt Blaukraut und Brautkleid bleibt Brautkleid". Es ist mir nicht gelungen. Daraufhin habe ich einen Test gemacht und einem Leser, der mich durchschnittlich dreimal in der Woche anruft und mir seine neuesten Erkenntnisse zu den Möglichkeiten, die Welt vor dem Untergang zu retten, mitteilt, weshalb ich ihn eigentlich gut leiden kann, diese Frage gestellt: "Kann es sein, dass Sie manchmal schneller denken, als sie sprechen können?" Es passierte, was noch nie vorher geschehen war und was ich bei diesem Anrufer nicht für möglich gehalten hatte: Der Mann war sprachlos. Und er sagte: "Das hat mich noch nie jemand gefragt, ich muss darüber nachdenken, ich melde mich wieder." Und dieser Spruch fiel mir ein: Denken ohne zu denken ist gedankenloses Denken, denn wenn man denkt, gedankenlose Gedanken zu denken, denkt man gedankenlose Gedanken, ohne zu denken. Ergibt dieser Satz einen Sinn oder habe ich dabei schneller gedacht, als ich sprechen, nein, als ich schreiben konnte? Ich weiß es nicht, aber dies ist gewiss: Freitag ab eins ...
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