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Der Ekel gehört dazu, wehret den Anfängen

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Mit zwei Leserinnen habe ich heute am Telefon gesprochen, weil beide das gleiche erlebt haben wie ich bei der Lektüre der Zeitung am frühen Morgen. Wir haben zuerst auf der Titelseite den Artikel "Wurst und Fleisch, wie lieb' ich euch!" gelesen; es geht im den Vorschlag der Grünen, in deutschen Kantinen einmal in der Woche einen "Veggie Day" einzuführen, an dem nur vegetarische Kost auf dem Speiseplan stehen darf. Bei der politischen Bewertung und bei den Erfolgsaussichten waren wir durchaus unterschiedlicher Ansicht (zwischen "endlich ist es soweit" und "reiner Wahlkampfpopulismus"), doch in einem Punkt waren die beiden Leserinnen und ich uns einig: "Es ist immer gut, wenn über die Alternative der fleischlosen Kost geredet beziehungsweise öffentlich diskutiert wird, weil das zu einer höheren Sensibilität der Menschen gegenüber diesem Thema führen könnte", formulierte es die Anruferin.

Danach haben wir dann weitergeblättert und sind bei der Seite "Aus aller Welt" gelandet, auf der wir den Artikel "Der Burger aus dem Labor" lesen durften; es geht in dem Bericht darum, dass Forscher eine für einen Klops ausreichende Menge an Fleisch aus den Stammzellen von Rindern gezüchtet haben und auf diese Weise hoffen, etwas gegen den Hunger in der Welt und den Klimawandel tun zu können, weil die Menschen fleischliche Nahrung nicht verzichten müssen und trotzdem kein Tier deswegen geschlachtet werden muss. "Ich habe mich einfach nur geekelt, das Frühstück musste ich zur Seite schieben, mir war der Appetit gründlich vergangen", brachte eine Leserin ihr Unverständnis auf den Punkt und bezeichnete die erwähnten Wissenschaftler als "das Ergebnis einer Züchtung aus Dr. Frankenstein und Godzilla".

Nun soll es mir jetzt nicht darum gehen, hier (mal wieder) eine Lanze für den Vegetarismus zu brechen und laut über die Vorteile einer fleischlosen Ernährung nachzudenken; auch möchte ich mir verkneifen, meine Meinung zum im Labor gezüchtete Fleisch detailliert darzulegen angesichts der Tatsache, dass mir auf Anhieb mehr als zehn Möglichkeiten einfallen würden, sofort und ohne große Mühen etwas gegen den Hunger in der Welt und den Klimawandel zu unternehmen, ohne weitere viele Jahre auf das Ergebnis einer Forschung zu warten, von dem mal nicht die Spur einer Ahnung hat, wie den Menschen darauf reagieren werden; es sei nur an allgemeine Haltung der Leute gegenüber Lebensmitteln mit genmanipulierten Zutaten erinnert. Ich möchte auf etwas anderes hinaus: Mich nervt eine Ambivalenz gewaltig, und ich würde wirklich gern erfahren, ob es nur mir so geht oder ob ich nicht der einzige bin, der sich darüber aufregt.

Zum einen nämlich hat der Vorschlag der Grünen sofort eine hitzige Debatte darüber ausgelöst; beispielsweise habe ich gleich auf zwei mitteldeutschen Radiosendern heute Morgen jeweils eine Presseschau gehört, in denen aus Kommentaren und Leitartikeln von Kollegen anderer Zeitungen zu diesem Thema zitiert wurde; mit nur wenigen Klicks hat mir die Suchmaschine eine Vielzahl von Meinungsäußerungen zum "Veggie Day" auf den Schirm gebracht; die ersten Leserbriefe dazu waren bereits eingegangen, bevor ich überhaupt den Computer hochgefahren hatte, um danach zu schauen.

Zum anderen findet eine öffentliche kontroverse Diskussion zum gezüchteten Fleisch aus der Petrischale offensichtlich nicht statt; Ernährungsexperten dürfen in den Artikeln ihre Meinung dazu sagen, aber niemand regt sich darüber auf, dass es so etwas überhaupt gibt und dass vermutlich viel Geld dafür ausgeben wird, diese Forschungen voranzutreiben, statt die Mittel dort einzusetzen, wo man tatsächlich zu brauchbaren Ergebnissen im Kampf gegen Hunger und Klimawandel kommen könnte. Vermutlich dürfte sich jeder mit der Frage nach dem Ekel auseinandersetzen bei der Vorstellung, in eine zwischen zwei Brötchenhälften gepappte Zellmasse beißen zu müssen, aber zu hinterfragen, warum es überhaupt so weit kommen konnte, kommt eher wenigen Zeitgenossen in den Sinn. Und das verstehe ich nicht.

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