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Das Wunder im Klassenzimmer: Absolute Stille

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Weil Angehörige dieser Berufsgruppe überdurchschnittlich häufig bei meinen Unterhaltungen zwischen zehn und zwölf vertreten sind, wobei ich immer noch nach einer Erklärung dafür suche, spreche ich diesen Satz nicht  weniger oft: "Respekt, denn wenn ich eines mir niemals im Leben habe vor mein geistiges Auge holen können, dann die Vorstellung, als Lehrer mein Geld zu verdienen." Aus dem Grund mache ich kein Geheimnis: Mir würde diese garantiert erforderliche Kombination aus guten Nerven und viel Geduld fehlen, um mich auf Dauer dieser geballten Form von Unruhe effektvoll entgegenzustellen, um mir Gehör zu verschaffen. Deshalb war ich gestern, weil ich mal wieder in einer Schule war und die "Freie Presse" einschließlich des Alltags in einer Redaktion vorgestellt habe (deshalb gab es auch keinen Blog, ich war demnach nicht vom Fahrrad gefallen, was einige Mailschreiber vermutet hatten), sekundenlang sprachlos, weil ich dies erlebt habe:

Fast 50 Jugendliche aus zwei neunten Klassen einer Oberschule sorgen in einem Mehrzweckraum für eine Geräuschkulisse, wie man sie sich nur vorzustellen braucht, um zu wissen, was ich meine. Dann steht plötzlich die Lehrerin in der Tür, macht sich mit wenigen Worten (für mich nicht verständlich) bemerkbar, und innerhalb weniger Sekunden stellen sich alle Mädchen und Jungen aufrecht hin, jegliches Reden verstummt und etwa drei tiefe Atemzüge lang (mein Zeitmesser während dieser Augenblicke) ist es tatsächlich mucksmäuschenstill in dem Raum. Dann fordert die Lehrerin die Schülerinnen und Schüler auf, sich zu setzen, und von einer auf die nächste Sekunde ist die Geräuschkulisse wieder die, welche mich daran erinnert hatte, dass ich niemals Lehrer werden wollte.

An dieser Stelle möchte ich allerdings betonen, dass das für den Job des Leserobmann erforderliche Nervenkostüm und die entsprechend notwendige Charaktereigenschaft der Duldsamkeit in keinem Verhältnis zu dem steht, was Lehrer an Voraussetzungen mitbringen müssen, um diesen Job ohne Schaden an Leib und Seele zu überstehen. Soll heißen: Was ich durchzustehen habe, ist im Vergleich zu dem, was Pädagogen im Klassenzimmer erleben, vermutlich eher eine lockere Unterhaltungseinheit.

Die inhaltlichen Höhepunkte von heute Vormittag verdeutlichen dies meiner Meinung nach ganz gut: Um kurz nach zehn erreichte mich die Nachricht, dass sich die Prophezeiung schon bald erfüllen werde und der globale Untergang unmittelbar bevorstehe, weil der sogenannte Antichrist weiterhin das Sagen habe und die Menschheit gut beraten sei, endlich das Buch "Ufos - die Kontakte" ernst zu nehmen und entsprechend zu handeln.

Wenige Minuten später reihte sich ein weiterer Leser in die Liste der mündigen Bürger ein, die nicht bereit sind, den monatlichen Rundfunkbeitrag von 17,98 Euro zu bezahlen, obwohl er keinen Fernseher besitzt, und er brachte mit Nachdruck zum Ausdruck, dass er nun die Zeitung in der Verantwortung sieht, den Verantwortlichen in der Politik deswegen mal gehörig auf die Füße zu treten, damit sich daran etwas ändere und er der Forderung zur Nachzahlung von 269,70 Euro für das vergangene Jahr nicht nachkommen müsse.

Ein weiterer Hinweis eines Lesers war gleichfalls mit einem Buchtipp verbunden: Nach dem Studium des Artikels "Nach dem Tanz gibt's frische Brötchen" über eine Bäckerei, bei den Gästen des Chemnitzer Opernballs für ein gelungenes Frühstück gesorgt hatte, sei ihm die Idee gekommen, sich an den Leserobmann zu wenden, weil er fest davon ausgehe, dass es sich bei dem Backwerk, von dem die Rede sei, um ein mit Weizenmehl hergestelltes Produkt handelt, weshalb er vorschlagen möchte, doch einmal einen Artikel über das Buch "Weizenwampe: Warum Weizen dick und krank macht" in die Zeitung zu setzen. Der nächste Anruf war in der Liste der Gespräche zum gleichen Thema der (geschätzt) zwanzigste, wobei der Vorschlag des Lesers in Chemnitz mittlerweile den Status einer Binsenweisheit erreicht hat: "Sparen wir und den Neubau des Fußballstadions, dann haben wir auch das nötige Geld für die Kulturförderung." Bei dem nächsten Gespräch ging es um eine Frage, die ich auch nicht beantworten konnte, obwohl es kurzerhand mit ein paar Suchbegriffen im Netz versucht hatte, weshalb der Mann sich damit zufrieden gab, dass ich im sagte: "Ich werde die Kollegen in der Redaktion darum bitten, bei einem der nächsten Artikel über dieses Thema mal zu erwähnen, warum die dritte Sängerin der Band Pussy Riot bei den Berichterstattungen keine Rolle mehr spielt." (Mittlerweile weiß ich, dass die Punkrock-Formation mal aus fast zehn Sängerinnen bestand, was mich dann eher verwirrt hat, als dass ich mich jetzt sicherer bei diesem Thema fühle.)

Der letzte Anruf heute hat mich dann wieder versöhnlich gestimmt mit mir und meinem Leben als Leserobmann: "Die Zeitung lag heute erst nach zehn im Briefkasten, das kann doch nicht sein, oder?"

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