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Die Zeit und die Frage: Darf man verzeihen?
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Ausnahmsweise mal eine Warnung vorneweg: Dieser Blogeintrag beginnt eher heiter und endet ernst. Denn zum einen gab es heute wieder mal ein Gespräch mit einem Leser, das ich (nur so für mich) unter der Rubrik "lange Leitung" archiviert habe, weil es ein besonders gutes Beispiel dafür ist, dass ich manchmal eine habe beziehungsweise auf der Leitung stehe, wenn Leser mir etwas zu verstehen geben wollen und sich entschieden haben, mir das Verstehen nicht unbedingt leicht zu machen. Lange Rede, kurzer Sinn, das Gespräch im Wortlaut (er fragte, ich antworte):
"Wann stehen Sie morgens auf?"
"Um 5.30 Uhr."
"Immer zur gleichen Zeit?"
"Ja."
"Auch am Wochenende?"
"Ja."
"Wann gehen Sie abends ins Bett?"
"Gegen 23 Uhr."
"Auch am Wochenende?"
"Ja."
"Daran wird sich in nächster Zeit nicht ändern?"
"Nein."
"Sie stehen auch in der nächsten Woche immer zur gleichen Zeit auf und gehen zur gleichen Zeit ins Bett?"
"Ja."
"Haben Sie keine Angst, aus dem Rhythmus zu kommen?"
"Nein."
"Morgens nicht aus den Federn zu kommen?"
"Nein."
"Nachts nicht einschlafen zu können?"
"Nein."
Einschub: An dieser Stelle wurde ich misstrauisch, weil ich befürchtete, entweder aufs Glatteis geführt zu werden oder mich mit diesem Dialog in einer Radiosendung wiederzufinden, weshalb ich eine erste Frage stellte:
"Warum wollen Sie das alles wissen?"
"Ich wollte mich vergewissern, bevor ich Ihnen mein Anliegen schildere, dass Sie jemand sind, der das nachvollziehen kann, damit ich nicht Gefahr laufe, dass Sie meine Bitte ignorieren, weil sie kein Verständnis dafür haben."
"Schießen Sie los."
"Ich habe im Fernsehen einen Sendung gesehen, in der es darum ging, dass es Menschen gibt, die bei jeder Zeitumstellung völlig aus dem Lot geraten und sogar deswegen unter psychosomatischen Symptomen leiden, also regelrecht krank werden."
"Und?"
"Ich wollte Sie bitten, sich dafür einzusetzen, dass ich in den nächsten beiden Tagen nicht auch noch solchen (...-) -sinn in der Zeitung lesen muss."
Zum anderen gab es heute eine eher weniger schöne Unterhaltung mit einem Leser, der sich zunächst weigerte, mir seinen Namen zu sagen, und der mit unterdrückter Nummer angerufen hatte, bevor er eine etwa zweiminütige Schimpftirade in den Hörer sprach, die ich so zusammenfassen möchte: Seiner Ansicht nach wäre es ein Affront gegen alle ehrbaren Menschen, die 1989 auf die Straße gegangen seien, um den Unrechtsstaat DDR zu Fall zu bringen, wenn in der Zeitung ein Mann (sogar mit Foto) vorgestellt und als anerkanntes Mitglied der "feinen Gesellschaft" dargestellt werde, von dem alle wissen, dass er früher ein IM bei der Stasi gewesen sei. Dies war bei weitem nicht der erste Anruf mit einem solchen Vorwurf, weshalb ich mich vor etwa zwei Jahren dazu entschlossen hatte, konsequent diesen Satz zu sagen, es ist eine Frage: "Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, dass Menschen sich ändern können, dass sie Reue zeigen und dass man ihnen verzeihen sollte und auf diese Weise selbst auch menschliche Größe zeigen kann?" Die Reaktion bei dem Anrufer war auch nicht neu für mich: "Also ...", hörte ich den Mann sagen, dann ein tiefes Einatmen, ein nicht weniger lautes Ausatmen, bevor ohne weiteres Wort den Hörer aufgelegt hat.
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