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Wie wär's damit: Einen Leichensack tragen?

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Diese Eingangsfrage eines Lesers fand ich heute zunächst weder außergewöhnlich noch in irgendeiner Weise geeignet, mein Misstrauen zu wecken: "Waren Sie in letzter Zeit mal bei einem Public Viewing?", wollte der Mann von mir wissen. Aus vollster Überzeugung, weil ich mich in dieser Sekunde an das Gefühl erinnerte, dass ich vor vier Jahren empfand, als ich als Reporter für die Redaktion im Einsatz war und über ein öffentliches Fernseherlebnis berichten durfte (WM-Achtelfinale Deutschland gegen England), sagte ich: "Nein, tut mir leid, ist nicht so mein Ding." Der Anrufer wiederholte die Frage, als hätte ich gar nicht geantwortet, nur dass er sie ergänzte: "Stellen Sie sich vor, Sie wären in den USA und ich würde Sie fragen: Waren Sie in letzter Zeit bei einem Public Viewing?"  Keine Ahnung, worauf der Mann hinaus will, dachte ich, bat also um Aufklärung und bekam sie auch: "Die US-Amerikaner sprechen von einem Public Viewing, wenn bei einer Beerdigung die Leiche noch einmal öffentlich zur Schau gestellt wird." Aha, dachte ich mir im Stillen, das habe ich noch nicht gewusst, und ich spreche demnach wohl mit einem Gegner von Anglizismen in der Zeitung. Deshalb kam ich auf die Idee, ihn mit seinen eigenen Waffen zu schlagen: "Finden Sie, dass das deutsche Rudelgucken besser klingt?", fragte ich den Mann. Eine Antwort bekam ich nicht, der Leser hatte nämlich das nächste Beispiel parat:

"Wenn Sie ins Büro fahren, haben Sie dann eine Aktentasche dabei?", lautete seine nächste Frage, und ich antwortete wahrheitsgemäß: "Niemals, ich bin eher der Rucksacktyp." Womit ich ihm wohl in die Karten gespielt hatte, denn nun wollte er von mir wissen: "Würden Sie eventuell auch auf einen Leichensack umsteigen?" Nun war ich tatsächlich verwirrt - einen Leichensack zur Aufbewahrung meiner Habseligkeiten benutzten? Also trat ich die Flucht nach vorn an: "Das verstehe ich nicht", meinte ich wahrheitsgemäß und wartete auf die Lösung des Rätsels. Er habe von einem Preisrätsel gelesen, bei dem ein "Bodybag" der vierte oder vielleicht auch der fünfte Preis gewesen sei, und es habe ihm viel Mühe bereitet, um herauszubekommen, dass damit eine bestimmte Form von Tasche gemeint sei (Anmerkung: Bodybag ist eine Tasche, bei der der Korpus mit einem Riemen diagonal über Brust und Rücken geschultert wird.) "Dann habe ich noch in der Stadtbibliothek ein Wörterbuch  zur Hand genommen und das Wort nachgeschlagen: Bodybag ist im Englischen der Leichensack." Und ich war wieder ein bisschen schlauer geworden. Langsam näherten wir uns aber dem eigentlichen Grund für seinen Anruf:

"Sind Sie ein Biker?",  wollte der Anrufer von mir wissen. Und selbstverständlich tappt ich in die Falle, weil ich sagte: "Nein, Motorradfahren gehört zu den Dingen, um die ich in meinem Leben bislang einen großen Bogen gemacht habe." "Tut mir leid", sagte der Leser, "aber das ist eine Lüge. Denn ich habe extra im Fremdwörterlexikon nachgeschaut: Als Biker bezeichnet man einen Zweiradfahrer, und dabei ist es unerheblich, ob sein Gefährt einen Motor hat oder ob es per Muskelkraft angetrieben wird." Und da er sich gut an meinen Unfall mit dem Rennrad vor fast einem Jahr erinnern könne, sei er davon überzeugt, dass ich doch ein Biker sei, ein leidenschaftlicher sogar. Ich gab mich geschlagen, ich schwieg. Was den Mann bewog, mich dies zu fragen: "Wollen Sie gar nicht wissen, warum ich angerufen habe?" Zum Glück konnte er die Bewegung meiner Augen nicht sehen, als ich ihm antwortete: "Natürlich, dann schießen mal los." Viel hat er jedoch nicht mehr gesagt, sondern mich gebeten, die Nachricht "Sieben Verletzte an einem Wochenende" heute auf der Seite Sachsen zu lesen. Ich zitiere:

"Bei Unfällen sind am Wochenende in Sachsen sieben Kradfahrer verletzt worden, sechs davon allein am Samstag. Ein 55-Jähriger zog sich zwischen Halsbrücke und Großschirma (Kreis Mittelsachsen) beim Sturz mit dem Motorrad schwere Verletzungen zu. Im vogtländischen Reuth kollidierte ein 44-jähriger Mopedfahrer mit einem Pkw und verletzte sich schwer. Schwer verletzt wurde auch eine 37-jährige Bikerin beim Sturz auf der A 72 nahe Hartenstein. In Zwickau stieß ein Kradfahrer (41) mit einem Pkw zusammen. Biker und Autofahrerin wurden verletzt. In Glauchau schnitt ein Pkw einer 24-Jährigen Motorroller-Pilotin die Vorfahrt. Sie verletzte sich leicht. In Thum (Erzgebirgskreis) stürzte ein 40-jähriger Biker und erlitt leichte Blessuren. Am Sonntag verletzte sich ein Biker beim Zusammenprall mit einem Pkw in Chemnitz schwer. (fp)"

Also versprach ich dem Leser, die Kollegen in der Redaktion zu bitten, mit dem Begriff "Biker" vielleicht etwas sparsamer umzugehen und ganz darauf zu verzichten, weil es genug deutsche Wörter dafür gebe.

Das war aber noch nicht das Ende der Unterhaltung. Denn zum Schluss fragte mich der Leser noch: "Wissen Sie, wie man in der Fachsprache dieses Handwerks beim Spinnen, also dem Herstellen von Garnen, eine Vorspinnmaschine nennt?" Ich wusste es nicht, auch die Suchmaschine hätte mir an dieser Stelle kaum so schnell geholfen, also hörte ich mir die Antwort an und erinnerte mich mal wieder daran, warum ich wirklich gern Leserobmann bin: "Einen Flyer."

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