Blog "Leser-Obmann": Bein oder nicht Bein, das ist nicht die Frage

Manche Leser geben gleich zu Beginn des Gesprächs zu, dass sie mich angerufen haben, weil ihnen niemand sonst eingefallen ist, mit dem sie über dieses Thema sprechen können. Meistens machen Sie auch kein Geheimnis daraus, dass sie sich zwar freuen würden, wenn die Zeitung mal darüber schreibt, was sie selbst bewegt angesichts der Frage, auf die sie keine Antwort finden, aber dass es ihnen in erster Linie darum geht, das Thema überhaupt erst einmal erörtern zu können mit jemanden, der zuhört und vielleicht auch mal seine Meinung dazu sagt. Klingt das kompliziert? Nein, nicht wirklich, denn dieses Beispiel von heute macht deutlich, dass die Sache ganz einfach ist. Der Mann, der meine Nummer gewählt hatte, fühlte sich von dieser Frage getrieben:

"Ich komme gerade von einem Spaziergang durch die Stadt zurück. Es war warm, fast sommerlich, die Sonne scheint seit den frühen Morgenstunden, und während ich so durch die Straßen schlendere, fällt mir auf: Alle Frauen, die mir begegnen, tragen Hosen; keine einzige war darunter, die einen Rock anhatte. Können Sie mir erklären warum das so ist? Ich finde das nämlich sehr schade."

Das war einer dieser Momente, die ich manchmal zwischen zehn und zwölf erlebe und in denen ich mich frage: Wie um Himmelswillen soll ich darauf reagieren? Weil ich zu den Menschen gehöre, die in Situationen, in denen sie sich für einen kurzen Moment in die Enge gedrängt fühlen und in denen sie eine Entscheidung von bis dahin ungewisser Tragweite fällen müssen, auf jeden Fall eher ihrem Bauchgefühl vertrauen, als dass sie ihrem Verstand und seinen Schlussfolgerungen und Empfehlungen folgen wollen, fiel mir als erstes eine Begegnung von heute Morgen im Zug ein, von dem ich dem Anrufer erzählt habe:

"Mir saßen heute in der Bahn vier junge Frauen im spätpubertierenden Teenageralter gegenüber, die alle kurze Hosen trugen, die diese Bezeichnung angesichts der Ausmaße des Stoffs nicht wirklich verdienen", sagte ich und fügte, weil ich wegen meines Vorsatzes, keine Anglizismen zu verwenden, den Begriff "Hotpants" vermeiden wollte noch hinzu: "Mehr Bein dürfte man auch bei keinem Rock sehen, das können Sie mir glauben." Was soll ich sagen, mein Bauch lag falsch, das war die falsche Reaktion, meinem Hinweis folgte noch dieser kurze Wortwechsel:

"Soll das heißen, dass Sie glauben, mir gehe es darum, Beine zu sehen?"
"Ich dachte ..."
"Oder wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, ich könnte zu den Männern gehören, die Frauen immer zuerst auf die Beine schauen, weil ihnen das irgendwie was bringt?"
"Ich wollte nicht ..."
"So einer bin ich nicht, ich werde nächstes Jahr achtzig."
"Nein, Sie haben mich falsch verstanden, ich ..."
"Meinen sie tatsächlich, ich denke an Sex?"
"Das würde ich niemals ..."
"Es geht um Mode, ganz einfach darum, dass ich wissen möchte, warum Frauen heute nur noch selten Röcke tragen."
"Das habe ich verstanden, ich ..."
"Oder haben Sie in Ihrer Redaktion niemanden, der sich mit Mode auskennt?"
"Doch, eine Kollegin gibt es, die ..."
"Also lese ich bald was dazu in der Zeitung?"
"Das kann ich Ihnen nicht versprechen, aber ich werde ..."
"Gehen Sie doch mal mit offenen Augen durchs Leben, jungen Mann, dann werden Sie sehen: Nur noch Hosen, keine Röcke mehr."
"Ich habe verstanden, ich wünsche Ihnen noch ..."
"Gleichfalls, ich werde mich jetzt erst mal hinlegen, ich muss verarbeiten, was Ihnen da in den Sinn gekommen ist."
"Aber ich habe Ihnen doch gerade versucht zu erklären, dass ich ..."

Tut, tut, tut, tut ...

Weitere Blog-Einträge

Sie lesen gerade auf die zweitbeste Art!

• Mehr Lesekomfort auch für unterwegs
• E-Paper und News in einer App
• Push-Nachrichten über den Tag hinweg

Kostenlos herunterladen

Nein Danke. Weiter in dieser Ansicht.