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Gewagte These: Sex macht kopflos
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Wie immer habe ich heute nach einer kurzen Auszeit (diesmal als meine ganz persönliche Reaktion auf den Streik der Lokführer in der vergangenen Woche), als ich dann wieder an meinem Schreibtisch saß, als erstes die eingegangen Mails gelesen und anschließend mir den Stapel mit Leserbriefen vorgenommen, die mit der Post die Redaktion erreicht haben. Weil ich nicht weiß, wie ich es umschreiben soll, schreibe ich einfach, wie es war, denn der erste (mit der Schreibmaschine getippte) Brief eines Lesers war mit diesen Worten überschrieben: "Sex macht kopflos." Zunächst habe ich mich in einer weniger von meinem Verstand veranlassten, als mehr von meinem Instinkt gesteuerten Reaktion darauf vergewissert, dass der Brief nicht an mich persönlich gerichtet war; ich atmete einmal tief durch, das war er nicht - die Redaktion war der Adressat. Dann habe ich angefangen, obwohl ich eigentlich erst die Post nach Themen sortieren wollte, aber wegen meiner Neugierde angesichts dieses brisanten Themas dazu getrieben, das Schreiben (eine Seite lang) durchzulesen. Ich darf den ersten Satz zitieren, es war eine Frage: "Wie vereinbaren sich Ethik und Moral mit marktwirtschaftlicher Relevanz?"
Interessanter Gedankenansatz, habe ich gedacht und mit einer gewissen Erwartungshaltung weitergelesen, doch ich war bereits wenige Sätze später enttäuscht, weil der Leser über die Begierden, die "selbst vor Amts- und Würdenträgern" nicht halt machen würden, schnell bei den christlichen zehn Geboten angelangt war, bevor er als erstes Fazit einen alten (von Christian Bruhn) komponierten Schlager zitierte: "Liebekummer lohnt sich nicht ...". An dieser Stelle, muss ich gestehen, habe ich den roten Faden verloren, wenn dieser Brief denn einen hat, weil anschließend galoppierte der Mann an der "Duldung von Bordellen ... und obszönen Liebesspielen" vorbei und streifte kurz die "Chancengleichheit im Bildungswesen", bevor er die Forderung "Steuergerechtigkeit und weniger Feindschaft untereinander" erhob und sich mehr "Hilfsbereitschaft und Solidarität unter den Menschen" wünschte. Der Brief endete auch mit einem Zitat, es stammt aus dem Mund des kürzlich verstorbenen Kollegen Peter Scholl-Latour: "Ich glaube nicht mehr daran, dass der Mensch gut ist."
Ich habe den Brief zur Seite gelegt mit der Absicht, mir später noch einmal Gedanken darüber zu machen, den Leser vielleicht einmal anzurufen, um mit ihm darüber zu reden, warum er mir Ausführungen zum Thema "Sex macht kopflos" geschickt hat, und ihn zu fragen, ob er sich auf einen in jüngster Zeit in der "Freien Presse" veröffentlichten Artikel bezieht. Während ich so noch meiner Verwunderung nachhing, griff ich zum nächsten Brief, der diesem auf dem Stapel der Posteingänge folgte; er war mit der Hand geschrieben, und deutlich war zu erkennen, dass der Verfasser irgendwann in seinem Leben auch die Sütterlinschrift gelernt und vermutlich auch lange angewandt hat. Mit diesem Zitat und dem Bekenntnis, dass ich mir niemals Sorgen machen muss, meine Arbeit als Leserobmann könnte langweilig werden, weil es an Überraschungen mangeln wird, möchte ich meinen Blogeintrag für heute schließen. Wörtlich heißt es in dem Schreiben: "Er (Anmerk.: Joachim Gauck) sollte mal in sich gehen und überlegen, ob man im höchsten Amt des Staates mit einer Mätresse (bei Noch-Ehefrau) durch die Land reisen muss. Wir leben nicht mehr im 17. Jahrhundert."
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