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Durchaus eine Frage von Moral
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Der Bericht "Erstmals muss eine Brüterei wegen Kükentötens vor Gericht" gestern auf der Seite "Wirtschaft" in der "Freien Presse" hat mich an einen Konflikt erinnert, den ich seit Beginn meiner Tätigkeit als Leserobmann mit mir selbst ausfechte und von dem ich hier in meinem Blog in dieser Deutlichkeit noch nicht berichtet habe. Zunächst der Sachverhalt: Seit Jahren ist das millionenfache Töten von männlichen Küken, für die es in der Industrie keine Verwendung gibt, ein in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiertes Thema. Der Druck auf die gesetzgebenden Institutionen und die für den Tierschutz zuständigen Behörden ist immer größer geworden, weshalb das jetzt von einer Staatsanwaltschaft eingeleitete Verfahren gegen eine Brüterei als ein wichtiger Schritt angesehen wird, endlich eine Lösung für dieses Problem zu finden. Darum geht es mir jetzt aber nicht in erster Linie, mich treibt ein anderes Thema um.
Auch nach dem Artikel von gestern haben sich die Gegner der in Deutschland geltenden Gesetzeslage zu Schwangerschaftsabrücken bei mir gemeldet, weil sie es als unerträglich empfinden, dass man sich Gedanken mache wegen des Tötens von Küken, während niemand die Abtreibungspraxis in unserem Land anprangert. Stellvertretend für alle möchte ich einen Leser (Name bekannt) zitieren: "Diese Meldung macht mich fassungslos und zeigt nur, wie pervers unsere Gesellschaft ist. Mit der Begründung, die Tötung von Wirbeltieren ohne vernünftigen Grund sei strafbar, wird Anklage gegen eine Hühnerbrüterei erhoben, die männliche Küken aussondert und tötet. (...) In Deutschland werden pro Jahr etwa 100.000 ungeborene Kinder abgetrieben, und keine Zeitung ist das eine Zeile wert."
Nun möchte ich dazu stehen, was ich denke und fühle, wenn diese Leser sich deswegen beschweren: Diesen Vergleich findet ich unerträglich, diese Menschen haben nicht das Recht, ihn für ihre Zwecke einzusetzen und zu missbrauchen, weil es um zwei völlig unterschiedliche Dinge geht. Dass es bei der Frage einer Haltung zum Abtreibungsrecht in Deutschland durchaus zulässig ist, von einer bestimmten ethischen Grundhaltung aus beziehungsweise basierend auf einer theologischen Weltanschauung diese kritisch zu hinterfragen, möchte ich gar nicht in Abrede stellen. Doch das Töten von Küken auf diese Stufe zu stellen, halte ich für falsch und anmaßend und in diesem Sinn auch nicht frei von Zynismus. Verschweigen möchte ich aber auch nicht, dass ich es nicht nachvollziehen kann, dass auf der einen Seite das Töten von Wirbeltieren ohne vernünftigen Grund strafbar ist und die Tierschützer dieses Argument gegen die Praxis der Hühnchenzüchter anbringen, während es im Umkehrschluss ein vernünftiger Grund sein soll, wenn man die Tiere verspeisen möchte. Was bedeutet: Für mich ist es nicht weniger einer Frage von Ethik und Moral, wenn Tiere ihr Leben lassen müssen, weil die Menschen sie essen möchten.
Eines der mich am meisten bewegenden Gespräche habe ich mit einer Leserin geführt, die mich auch wegen des Artikels "Erstmals muss eine Brüterei wegen Kükentötens vor Gericht" angerufen hatte. "Ich kann einfach nicht begreifen, dass es das heute immer noch gibt", sagte mir Seniorin und erzählte mir von ihrer Vergangenheit als Mitarbeiterin einer Hähnchenzüchterei zu DDR-Zeiten. Die Details über das Verfahren, sich der männlichen Tiere zu entledigen, sind so grausam, dass ich sie hier nicht wiedergeben kann; vielleicht könnte ich am Telefon darüber reden, ich weiß es nicht. Nur diesen Satz der Anruferin möchte ich abschließend wiedergeben: "Die Geräusche und der Geruch verfolgen mich 30 Jahre später immer noch bis in meine Träume."
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