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Ein Foto mahnt: Niemals wegschauen

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Diesen Blogeintrag möchte ich mit der Empfehlung eines Romans und seiner noch viel erfolgreicheren Verfilmung beginnen. Klaus Mann (Sohn von Thomas Mann) gehört zu den wenigen Autoren, deren Bücher ich innerhalb weniger Wochen alle nacheinander gelesen habe; das ist mittlerweile 36 Jahre her. Berühmt und einem weltweit literarisch interessierten Publikum bekannt geworden ist der Autor (1906 bis 1949) mit seinem Roman "Mephisto". Darin geschildert wird  der Aufstieg des bekannten Schauspielers Hendrik Höfgen, der seine politische Überzeugung verleugnet und alle menschlichen und ethischen Verpflichtungen abstreift, um im Pakt mit den nationalsozialistischen Machthabern eine künstlerische Karriere zu machen. Wer sich mit der deutschen Kultur- und Theatergeschichte seit den dreißiger Jahren beschäftigt hat, erkennt beim Lesen sofort, dass es sich bei dem Protagonisten um eine fiktive Kopie von Gustaf Gründgens handelt. Viele Details wie die äußere Erscheinung, die Theaterstücke, an denen er mitwirkte, und ihre zeitliche Reihenfolge, der Aufstieg zum Preußischen Staatsrat und zum Generalintendanten der Preußischen Staatstheater entsprechen der Biografie von Gründgens.

Im Jahr 1981 hat der Regisseur István Szabó aus diesem Stoff einen Spielfilm gemacht, der zu einem echten cineastischen Welterfolg wurde und unter anderem auch im Folgejahr mit dem "Oscar" für den besten fremdsprachigen Film ausgezeichnet worden war; auch für Klaus Maria Brandauer, der die Hauptrolle übernommen hatte, war es der Start in eine Weltkarriere. Den Roman gibt es noch im Buchhandel zu kaufen, im Netz findet man Exemplare für weniger als ein Euro. Den kompletten Film kann man sich bei auf Youtube anschauen, ich empfehle aber die DVD, weil die bessere Qualität bei einem Streifen mit so vielen "Zwischentönen" den Zugang zum Inhalt wesentlich erleichtert. Selten habe ich es mit so viel Überzeugung geschrieben: Diesen Film muss man gesehen haben.

Warum ich über Buch und Film schreibe? Ganz einfach: Das Thema der Geschichte ist auch oder sogar vor allem, wie der Nationalsozialismus mit seinem menschenverachtenden Gedankengut sich in die Köpfe der Frauen und Männer in Deutschland schleichen konnte. Allein die Vorstellung, dass man in den gesellschaftlichen und politischen Kreisen diese destruktive Ideologie mit Missachtung strafen und abwarten wollte, bis sich diese Strömung von alleine ins Abseits manövriert, erzeugt in mir ein Grauen, das mich in dieser meiner Zeit vor allem mahnt, eine solche Einstellung mit verheerenden Auswirkungen nicht noch einmal aufkommen zu lassen. Nun der Grund für diesen Blogeintrag:

Sieben Leser haben mir heute zwischen zehn und zwölf mitgeteilt, in welchem Ausmaß sie sich darüber aufgeregt beziehungsweise geärgert haben, dass auf der Titelseite der "Freien Presse" ein Foto zu sehen ist, auf dem während des Prozessauftakts gegen ihn der Pegida-Mitbegründer Lutz Bachmann (nur von hinten) zu sehen ist, während die im Gerichtssaal sitzenden Zuhörer vor Begeisterung klatschen und ihm zujubeln. Der Grund für den Unmut der Leser war in allen Fällen der gleiche, eine Anruferin möchte ich stellvertretend zitieren, weitere Erläuterung zu den Gesprächen sind nicht erforderlich: "Wie kann man diesem Mann nur solch ein Podium bieten", meinte die Frau in der Leitung und bemerkte noch, dass das Bild den Eindruck erwecke, Bachmann sei ein gefeierter Zeitgenosse.

Nicht alle Anrufer wollten mit mir darüber diskutieren oder sich meine Argumente für diese Fotonachricht auf der Titelseite auch nur anhören, aber wenn sie dazu bereit waren, habe ich gesagt: "Schauen Sie bitte in die Gesichter der Leute im Gerichtssaal, und wenn Sie ein Gefühl von Sorge oder sogar Furcht befällt, dann hat dieses Bild seinen Zweck erfüllt, weil es uns mahnt und ins Gewissen schreibt: Wegschauen dürfen wir auf keinen Fall, das ist immer der falsche Weg, das hat unser Land schon einmal an den Abgrund geführt." Ganz ehrlich? Mich hat es heute Morgen gegruselt, als ich das Foto gesehen habe, was dazu geführt, meinen Vorsatz zu erneuern: Niemals werde ich wegschauen, das weiß ich mit Gewissheit, seit ich vor 36 Jahren das Buch "Mephisto" gelesen und zwei Jahre später den gleichnamigen Film gesehen habe.

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