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Liebe Frauen, tut mir echt leid

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Seit sechs Jahren habe ich ein gestörtes Verhältnis zum Internationalen Frauentag; auch heute meldete mir mein Bauch auf dem Weg ins Büro ein ungutes Gefühl. Bevor dieser Verdacht überhaupt aufkommt, möchte jedoch versichern: Dieser Welttag war in der vergangenen Jahrzehnten und ist auch heute noch wichtig und mit Sicherheit zeitgemäß, um daran zu erinnern, dass - weltweit gesehen, aber auch in Deutschland - die völlige Gleichstellung der Frau als gesellschaftliches, wirtschaftliches und politisches Ziel niemals aus den Augen verloren werden darf. Meine Kollegen in der Redaktion denken auch jedes Jahr daran, mit Artikeln in der Gesamtausgabe und in den Lokalteilen der "Freien Presse" einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Intention dieses Gedenktages wieder mal in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt wird; heute beispielsweise hat ein Kollegin auf der Seite "Kultur & Service" einen ebenso informativen wie auch emotionalen Brief an Clara Zetkin geschrieben. Also alles im grünen Bereich, sollte man meinen, doch dem ist bei weitem nicht so: Dieses Jahr haben vier Leser (in den Jahren zuvor waren es manchmal bis zu zehn) bei mir angerufen, um mir (beziehungsweise mehr der Zeitung und den für den Inhalt verantwortlichen Kollegen) einen Rüffel zu erteilen, weil wir ihren Erwartungen nicht entsprochen haben und sie jetzt (Zitat eines 83-jährigen Mannes) "mächtig sauer" sind und ihrem "Ärger jetzt mal Luft verschaffen wollen" (mit dem Zusatz: "Das müssen Sie jetzt mal ertragen, jungen Mann."). Warum dieser Zorn? Ganz einfach:

"Ich erwarte ganz einfach einen an die Frauen gerichteten Glückwunsch in der Zeitung", meinte ein (ich betone) Mann, der dann noch hinzufügte, weil ich ihn nach der Art und Weise gefragt hatte, wie das Gratulieren journalistisch funktionieren könne: "Ein bunter Blumenstrauß auf der Titelseite, das wäre doch mal eine gute Idee gewesen." Auch den anderen drei Anrufern heute ging es nicht darum, dass der Frauentag eine zu geringe Rolle in der heutigen Berichterstattung gespielt hat, sondern einzig und allein darum: "Es ist doch wohl nicht zu viel verlangt, wenn Sie sich mal die eine oder andere Frau beispielsweise mit einem außergewöhnlichen sozialen oder meinetwegen auch kulturellen Engagement stellvertretend aussuchen, ihr einen Blumenstrauß überreichen, dies fotografieren und das Bild in die Zeitung setzen", meinte ein "fast achtzigjährige" Leserin. Alle habe ich zugesichert, dass ich ihre Kritik an die Kollegen in der Redaktion weitergeben werde, wobei ich jedesmal den Gedanken hatte: Nächstes Jahr wird es nicht anders sein, Glückwünsche und Gratulationen wird es keine geben. Um kurz nach zwölf kam mir dann eine Idee, weil ich irgendwie mit selbst beweisen wollte, dass ich mit meiner Einstellung möglicherweise doch nicht ganz daneben liege. 

Eine Stunde lang habe ich im Büro, auf den Fluren im Verlagshaus und während meiner Mittagspause auf der Straße und in den von mir betretenen Geschäften allen Frauen, die ich normalerweise freundlich grüße, zum Frauentag gratuliert und ihnen alles Gute gewünscht. 23 waren es während dieser 60 Minuten, und die Auswertung hat mich dann doch beruhigt: Rund 80 Prozent der Frauen machten aus ihrer Überraschung kein Geheimnis und haben mich zuerst mehr oder weniger irritiert angeschaut, bevor sie sich dann bedankt haben. Drei außergewöhnliche Reaktionen gab es. Erstens: "Und die Blume?", fragte mich eine Kollegin. Zweitens: "Und das ausgerechnet von Dir", sagte eine gute Bekannte, die ich in der Buchhandlung getroffen hatte. Drittens: "Du warst auch schon mal witziger", meinte eine Fachverkäuferin, die ich seit Jahren gut kenne, weil ich ein treuer Kunde ihrer (...)-Waren bin. Und falls jemand auf die Idee kommen, mir diese Frage stellen zu wollen, informiere ich vorab: Beschwerden von Leserinnen und Lesern am Männertag hat es noch nie gegeben.

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