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Den Osten, gibt es ihn noch?
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Mir fallen spontan einige Formulierungen ein, bei denen meine Emotionen für die Wortwahl verantwortlich wären und ich Ausdrücke verwenden würde, für die ich mich hinterher schämen müsste, weshalb ich lieber darauf verzichte und versuche, es betont sachlich zu formulieren: Es gibt Themen, die Leser dazu bewegen, mich mehr oder weniger regelmäßig anzurufen, an die würde ich gern einen Haken machen und sie für immer zu den Akten legen. Dazu zählt auch der Grund, warum mich heute ein Leser angerufen hat. "Ich lese Ihnen zuerst mal aus drei Artikeln etwas vor, die ich in den vergangenen Tagen in der Zeitung gefunden habe, damit Sie auch verstehen, dass ich nicht nur einfach so anrufe und mich darüber beschweren möchte", erklärte er mir und zitierte aus drei Berichten in der "Freien Presse":
"Die nach der Wende gestiegene Zahl von Raucherinnen in Ostdeutschland wird nach Einschätzung des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock zu einer dramatischen Steigerung der Sterblichkeit bei Frauen im Osten führen." (Seite "Wissen" vom 15. Mai)
"Über 60 Aussteller aus Ostdeutschland haben auf der internationalen Leitmesse „Techtextil“ in Frankfurt (Main) ihre Leistungskraft demonstriert." (Seite "Wirtschaft & Börse" vom 13. Mai)
"Das Kernproblem sind Menschen, die ihn als Medium benutzen. Sie binden all ihre Interessen – ob sie ihn lieben oder hassen – an die Person Schur. Sie melden sich jetzt wieder alle zu Wort", sagt Silke Satjukow. Sie ist Historikerin, Jahrgang 1965 und in Ostdeutschland großgeworden ..." (Seite "Zeitgeschehen" vom 10. Mai)
Warum soll ich mich, kommt mir gerade in den Sinn, mit einer weiteren Einführung des Themas beschäftigen, ich schreibe diesmal wie es ist: Der Mann erträgt es nicht, wenn er das Wort "Ostdeutschland" in der Zeitung liest, "weil das immer noch einen negativen Beigeschmack hat und nach ehemaliger DDR klingt", meinte er und verwies darauf, dass es das eine "Ostdeutschland nur bis 1945 gegeben hat" und dass es außerdem doch wohl "absurd ist, zu behaupten, dass Rostock an der Küste eine ostdeutsche Stadt ist". Seiner Ansicht nach gibt es Mittel- und Norddeutschland, während man im besten Fall noch von den in der Osthälfte Deutschlands gelegenen Bundesländern sprechen könne, wenn es um die Länder geht, die früher einmal die DDR gebildet haben. "Freie Presse" möge doch aufhören, "Ostdeutschland als Synonym für etwas zu gebrauchen, was es gar nicht gibt", hörte ich ihn noch sagen, bevor ich dann beschloss, ab dieser Stelle nicht mehr nachvollziehen zu können, was nun genau sein Problem ist. Soll heißen, womit ich meinen Vorsatz (siehe oben) über den Haufen werfe: Manchmal gehen mir diese Befindlichkeiten, die Leser verspüren, wenn das Wort "Osten" erwähnt wird, nur noch gegen den Strich, und ich frage mich, wie lange es noch dauern wird, bis ich solche Gespräche mit Lesern am Telefon nicht mehr führen darf.
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